Marathon als Revanche: „Weil ich dem Krebs zeigen will, dass ich immer noch da und stark bin”

„Hallo Natascha!“ Ich höre meinen Namen rufen, schaue mich um und sehe sie schließlich: Jacqueline winkt mir zu und kommt in dem Moment auch schon zu mir herüber. Es wimmelt nur so von türkisfarbenen T-Shirts, da ist es gar nicht so einfach bekannte Gesichter zu finden. Die Begrüßung von Jacqueline ist genauso herzlich wie beim ersten Mal vor gut drei Wochen. Die 31-Jährige strahlt. Die Freude hier und heute beim 12. Krebsforschungslauf im Alten AKH in Wien dabei zu sein, ist ihr ins Gesicht geschrieben. Jacqueline war vor vier Jahren an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Seither ist ihr Leben nicht mehr so, wie es einmal war. Vor zwei Wochen gab es ihre Geschichte an dieser Stelle zu lesen. Heute gilt Jacqueline als gesund.

Der Krebsforschungslauf ist Geschichte und eigentlich hatte ich gar nicht vor, noch einmal darüber zu schreiben. Möglichst viele Teilnehmer vor der Veranstaltung zu mobilisieren war das Ziel. Eigentlich. Denn die Frau, die ich an diesem Tag kennengelernt habe, hat mich schwerst beeindruckt. So sehr, dass ich der Meinung bin, es braucht mehr Geschichten wie ihre, um anderen Betroffenen Mut zu machen. Daher lasse ich das Rundendrehen für den guten Zweck doch ein wenig Revue passieren.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wie wir vor dem Start ins Gespräch gekommen sind. Wir standen alle in unseren türkisfarbenen T-Shirts herum und warteten darauf, dass es endlich losging. Irgendwann hat Ursula mich gefragt, zum wievielten Mal ich dabei bin und warum. Ich erzählte, dass es erst meine zweite Teilnahme war und erklärte ihr ein bisschen meine Geschichte, welche Rolle das Thema Krebs in meinem Leben spielt. So plauderten wir drauf los und als schließlich der Startschuss fiel, war es klar, dass wir unsere erste Runde gemeinsam drehen. Vielleicht noch kurz zur Erklärung: Pro gelaufener Runde, die einer Meile entspricht, wurden Spenden gesammelt. Einfache Rechnung: Je mehr Runden alle Teilnehmer laufen, umso größer ist am Ende die Summe, die zu 100 Prozent in die Krebsforschung fließt. Mehr Infos dazu gibt es hier.

„Da war er: der verdammte Krebs”

Aber zurück zu Ursula. So selbstverständlich wie es für Jacqueline ist, am Krebsforschungslauf teilzunehmen, ist es auch für Ursula. „Ich bin heute zum siebenten Mal dabei. Dieser Lauf ist für mich jedes Jahr ein Pflichttermin“, betont sie. Anlass dafür ist wie bei Jacqueline, die niederschmetternde Diagnose gesagt bekommen zu haben: Sie haben Krebs. „Es war der 9. August 2010. Ich hatte einen Termin für eine Mammographie, eine reine Routineuntersuchung. Es hat geregnet, ich war zu spät dran, hatte schlechte Laune – einfach einen schlechten Tag“, erzählt sie. Dass dieser der schlimmste in ihrem bisherigen Leben werden würde, ahnte sie nicht. „Der Arzt hat noch mit mir diskutiert, weil er keinen Ultraschall machen wollte, sondern nur die Mammographie. Bis die Röntgenassistentin auf einmal nervös und hektisch wurde. Sie hat einen Knoten in meiner Brust beim Einzwicken zwischen den Platten gespürt. Also wurde doch ein Ultraschall gemacht. Und da war er: der verdammte Krebs.“

Ab diesem Moment sei es Schlag auf Schlag gegangen: Stanze, Biopsie, OP, abrasieren der Haare, Chemo, Bestrahlung. „Mein Krebs war leider ein sehr aggressiver. Insgesamt zwölf Chemos und 33 Bestrahlungen habe ich bekommen“, sagt Ursula. Die Nebenwirkungen beschreibt sie genauso wie Jacqueline: „Ein Mensch, der das nicht selber durchgemacht hat, kann sich das nicht vorstellen. Eine Chemotherapie schwächt dich so sehr, das ist mit nichts zu vergleichen.“

Ein paar Runden haben wir schon gedreht und mittlerweile herrscht auf der Strecke reges Treiben. Ein bunter Mix von Läufern und Walkern spulen ihre Meilen für die Krebsforschung ab. Es ist recht dicht und durch die engen Passagen ist es ein Mix aus gehen und laufen. Manchmal verliere ich Ursula im Gedränge etwas, doch wir warten immer aufeinander und so laufen wir weiterhin gemeinsam. „Eigentlich haben sie mir damals gesagt, dass bei dieser aggressiven Form der Krebs binnen fünf Jahren wiederkommen wird. Jetzt sind es schon acht Jahre und ich bin immer noch gesund. Ich lasse mich nicht unterkriegen“, sagt sie und ihre Stimme wird gleich darauf ein wenig leiser: „Ich bin damals gerade erst Oma geworden. Das hat mir Kraft und Lebensmut gegeben. Erst kürzlich hat mich mein Enkelkind gefragt ‚Oma, wirst du eh nie wieder so krank, dass du sterben musst?‘“ Ich schlucke und spüre in dem Moment wie es mir die Kehle zuschnürt und wie so oft stelle ich mir die Frage: Wieso gibt es diese verdammte Krankheit, die so viel Angst und Leid verursacht?

Laufen als Therapie

„Ganz viel Kraft hat mir aber nicht nur meine Familie, sondern auch das Laufen gegeben.“ Ursula reißt mich aus meinen Gedanken. Im Jahr 2004 hat die Niederösterreicherin mit dem Laufen begonnen und selbst während ihrer Erkrankung nicht damit aufgehört. „Das Laufen hat mir geholfen, das Ganze zu bewältigen, zu verarbeiten, zu wissen, dass ich noch lebe, wenn ich einen Fuß vor den anderen setze.“ Darüber hinaus sei es eine Art Therapie für sie gewesen: „Ich habe auch sehr viele Tränen vergossen beim Laufen und hatte dabei das Gefühl, dass es mich befreit.“ Heute sei sie dankbar, dass sie laufen kann. „Dass mein Körper wieder mir gehört. Das Gefühl hatte ich während der Chemo und Bestrahlung nämlich nicht. Ich freue mich jedes Mal, wie schön unsere Welt ist und dass ich die Natur so genießen kann“, sagt sie.

Im Jahr ihrer Krebsdiagnose wollte Ursula eigentlich ihren ersten Marathon in New York laufen. „Wir hatten vom Laufclub aus alles gebucht. Das Marathontraining hatte ich bereits mit meiner Freundin begonnen, doch dann kam der 9. August“, erzählt sie. Aus dem Marathon wurde nichts, stattdessen verbrachte sie die Zeit im Krankenhaus. Fünf Jahre später war es dann mit der Premiere soweit: „2015 bin ich in Linz meinen ersten gelaufen. Der Zieleinlauf war grandios. Mit einem Lächeln auf den Lippen, Gänsehaut und im Kopf Emotionen, die übergingen, habe ich den Marathon geschafft und die wichtigsten fünf Jahre ohne Krebs“, sagt Ursula und strahlt. Von dieser positiven Energie beflügelt, folgte gleich darauf im Mai 2015 ihr erster Ultra: „Ein von Freunden organisierter 62 Kilometer langer Abenteuerlauf rund um Krems.“

Etwas mehr als eine Stunde laufen wir nun schon gemeinsam. Die Zeit vergeht wie im Flug. Ursula sprüht vor Energie und Lebensfreude und will auch in den kommenden Jahren nicht klein beigeben. „2020 hol ich endlich meinen Marathon in New York nach. Zu meinem 40. Geburtstag hat mir der Krebs meinen ersten Marathon genommen, zum 50. Geburtstag nehme ich Revanche, weil ich dem Krebs zeigen will, dass ich noch immer da und stark bin!“

3700 Teilnehmer

Irgendwann haben wir uns im Gedränge dann doch aus den Augen verloren. Während ich noch ein bisschen weiterlaufe, denke ich viel nach. Über diese wahnsinnig starke Frau, die ich soeben kennengelernt habe. Während dem Laufen habe ich sie gefragt, ob ich ihre Geschichte erzählen darf. „Ja klar, ich will damit an die Öffentlichkeit gehen, um anderen Mut zu machen, denn das Thema Krebs ist leider nach wie vor ein Tabuthema. Während meiner Erkrankung habe ich mich sogar in einer Frauenzeitschrift abbilden lassen – mit Glatze. Ich wollte bewusst das Tabu aufbrechen und anderen Frauen zeigen: ihr seid nicht allein.“

Nach zehn Runden verlasse ich schließlich die Strecke. Mittlerweile ist es fast Mittag und der Teilnehmerandrang ist nach wie vor groß. Ich hole mir noch meine Urkunde und spende einen kleinen Betrag für jede Runde. Es herrscht eine positive Energie an diesem Tag, an diesem Ort. Eine die dazu führt, dass man das Gefühl hat, etwas bewirken zu können. Wenn auch nur in Form einer Teilnahme. Oder in Form eines Kennenlernens einer Frau, die einfach nicht aufgegeben hat und deren Geschichte anderen Energie geben soll.

Insgesamt waren laut Med Uni Wien rund 3700 Teilnehmer beim 12. Krebsforschungslauf dabei und haben Meilen für den guten Zweck gesammelt. Wie viele Spenden dadurch zusammengekommen sind, will die Med Uni Wien in einigen Wochen bekannt geben. Ursula ist übrigens 15 Runden, sprich 24 Kilometer gelaufen. So viel wie heute geht, hat sie mir zu Beginn gesagt. Zum Abschluss hat sie mir noch ein Appell mitgegeben: „Allen Betroffenen möchte ich mitgeben, dass man niemals aufgeben darf. Es gibt nur ein Leben und das ist einfach zu schön!“

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