Ehrlich währt am längsten

Juhu, ein Fünftel ist schon geschafft. Noch 48 Minuten. Warum sind denn erst zwölf Minuten vergangen? In meinem Kopf geht es hin und her. Es ist mein zweiter virtueller Wettkampf: der 60 Minutenlauf von Run2gether Austria. Wie es sich in Corona-Zeiten gehört, läuft dabei jeder Teilnehmer alleine für sich. Bereits zwei Wochen zuvor hatte ich am 5-Kilometerlauf teilgenommen. Zwei Rennen also, die so eigentlich keine waren: es gab keine Mitläufer, keine laute Musik an der Strecke und auch keine Zuschauer. Es war ein einsames Rennen gegen mich – für mich.

Gefühlt verlegt nahezu jeder Veranstalter die geplanten Wettbewerbe in die virtuelle Welt. In der Regel funktioniert das so, dass jeder Läufer sein Ergebnis von der Uhr oder App an den Veranstalter schickt. Klingt im ersten Moment super fair, doch ist auch tatsächlich jeder Teilnehmer fair?

Ein Rennen läuft in der Regel außerhalb der Komfortzone ab. Um sich dennoch ein bisschen mehr Komfort zu verschaffen, gibt es bei virtuellen Rennen doch so einige Tricks. Ganz oben in der Hitliste der Komfortverschaffer: die Strecke. Nicht umsonst werden von World Athletics, dem Leichtathletik-Weltverband, keine Rekorde bei Punkt-zu-Punkt-Strecken gewertet. Eliud Kipchoge könnte beim Boston-Marathon Weltrekord laufen, es würde nicht offiziell gewertet werden. Denn läuft man nur in eine Richtung, kann es mitunter Vorteile geben – meist geht es um den Wind, aber auch das Gefälle spielt eine Rolle. Bergab mit Rückenwind macht schnelle Beine.

Ich gebe zu, auch für mich spielte bei beiden virtuellen Rennen die Strecke eine Rolle. Beim ersten ging es mir darum, eine persönliche Bestzeit zu holen. Das Ergebnis war mir wichtig. Noch wichtiger war mir aber, mich nicht zu belügen, sprich weder bergab, noch nur mit Rückenwind zu laufen. Halbe/halbe ungefähr. Beim zweiten Rennen, dem Stundenlauf, war mir das Ergebnis nicht ganz so wichtig. Ich war die Tage zuvor müde und war nicht wirklich in virtueller Wettkampfstimmung. Anders als beim ersten Lauf machte ich es mir daher ein bisschen bequemer: Von Punkt zu Punkt mit Rückenwind. Ein bisschen schummeln also.

Köln macht’s fair

Neben der Streckenwahl gibt es aber auch noch eine Möglichkeit, ein besseres Ergebnis zu erzielen: die Pausentaste auf der Uhr. Wahrscheinlich hat sich jeder schon einmal gewundert, warum Läufer XY auf einmal so eine Wahnsinnszeit hinknallt. Auch schon mal genauer hingesehen? Wie war das mit den Pausen dazwischen? Netto ist nicht immer Brutto. Da nehmen es so manche während dem virtuellen Wettbewerb nicht so genau. Bei genauerem Hinsehen gleicht es dann eher einem Intervalltraining mit Stehzeit.

Anders als bei allen bisherigen virtuellen Rennen läuft das in Köln ab. Auf einer 5,4 Kilometer langen Strecke kann man sich beinahe unter echten Wettkampfbedingungen mit sich und anderen messen. Beim Start wird mit dem eigenen Chip eine Zeitmatte überlaufen, dann geht es einmal um den Fühlinger See, wo weitere zwei Matten für die Zwischenzeiten überlaufen werden. Nach einer Runde ist man wieder am Ausgangspunkt. Schummeln gibt’s nicht. Wer keine Zwischenzeit hat, ist raus und wer dazwischen eine Pause macht, hat Pech gehabt – die Zeit läuft weiter.

Super Konzept, das die Veranstalter auch auf andere Städte ausweiten möchten. Bleibt die Frage, ob es das braucht oder man sich nicht viel mehr die Frage der Fairness stellen sollte. Denn wie heißt es: Laufen ist ein ehrlicher Sport. Und ehrlich währt am längsten. Dann ist der Stolz, die Bestzeit alleine ins Ziel gebracht zu haben nämlich genauso groß, wie bei einem echten Wettkampf.

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