Von der Kotzgrenze zur Marathonpace

Über pulsgesteuertes Training und warum ich darauf schwöre.

Einfach nachlaufen, nicht abreißen lassen. Ich schnaufe. Immer den Füßen da vorne nach. Das Schnaufen wird lauter. „Ah, ahhh“, rutscht es mir heraus. Die Füße vorne bewegen sich unaufhörlich weiter. Ich habe Mühe mitzuhalten. Spüre mein Herz bis in den Hals pochen. Die Lunge brennt. Ich ringe nach Luft. Der Schritt ist längst nicht mehr rund. Es geht nur noch ums Mithalten. „Komm, eine Runde noch“, höre ich von vorne und es scheint so, als würden sich die Füße nun auch noch schneller bewegen. Ich mobilisiere alle meine Kräfte und halte mit. Die letzten Meter. Plötzlich weichen die Füße nach rechts zur Seite aus und überlassen mir sozusagen den Zieleinlauf. Geschafft. Ich muss mich erst einmal vornüberbeugen und verschnaufen. „Super gemacht“, sagt Thomas, der an diesem Tag mein persönlicher Pacemaker ist und dessen Füße ich letztendlich nachgerannt bin.

Die Sonne brennt an diesem Tag bereits um 7 Uhr vom wolkenlosen Himmel. Ich stehe mit Krista Gruss-Brunner auf der Laufbahn. Krista ist Trainerin und Sportwissenschafterin und wird mir heute in Sachen Trainingszustand ein bisschen auf den Zahn fühlen. Genauer gesagt geht es um eine Leistungsdiagnostik, sprich einen Laktattest.  Bei Krista läuft man draußen auf einer 400m-Bahn je nach Leistungsniveau vier oder fünf Runden, sprich 1600 oder 2000 Meter. Bei mir sind es 1600, bei meinem Mitstreiter Thomas 2000.

Warum auf der Bahn nicht auf dem Laufband? „Der Vorteil von einem Laufband ist, dass der Test unter standardisierten Bedingungen stattfindet, also Wettereinflüsse keine Rolle spielen. Der Nachteil jedoch ist, dass Laufen am Laufband für viele ungewohnt und unnatürlich ist“, erklärt Krista. Und warum 1600 bzw. 2000 Meter und nicht nur drei Minuten? „Die Belastung ist für beide gleich, nur legen schnellere Läufer eben in der gleichen Zeit mehr Meter zurück. In dieser Zeitspanne entsteht ein sogenanntes Laktatplateau, das sehr gut aufs Training übertragen werden kann. Die Umsetzung fürs Training ist einfacher, als bei einem sehr kurzen Test.“

Insgesamt fünf Mal muss ich die 1600 Meter absolvieren. Ganz langsam beginnend wird die Pace bei jeder weiteren Runde erhöht. 4:40 lautet die Vorgabe für meine letzten 1600 Meter. Wozu schneller, geht es doch nur um die Schwellenbestimmung. Eine Pace von 4:00 heißt es für die letzten 2000 Meter von Thomas. Da dieser mit dem Test früher begonnen hat und demensprechend auch früher fertig ist, hat er nichts dagegen, als ich ihn bitte, ob er Pacemaker spielen mag. „Klar, das machen wir“, sagt er und schon geht’s ab.

Im Nachhinein war es dann vielleicht doch nicht so klug. Denn wie sich herausstellte, hatte Thomas noch die 4:00 in den Beinen und ist dementsprechend viel zu schnell angelaufen. „Sorry, 4:00 sind halt doch keine 4:40. Aber du hast super mitgehalten. Nur einmal hast kurz gestöhnt“, sagt er zum Schluss und lacht. Haha. Eh. Nun gut. Schwamm drüber. Immerhin bin ich so zumindest ein paar hundert Meter um die 4:00 gelaufen. Hat ja auch was.

Vor- und Nachteile

Aber nun wieder zu Krista. Die Sportwissenschafterin ist auf Laktattests samt Trainingsplanung spezialisiert und weiß somit ganz genau, wann jemand blau wird und wann nicht. Doch was bringt es eigentlich, wenn man seine Trainingsbereiche kennt und dementsprechend pulsgesteuert trainiert? „Der Vorteil ist, dass es auf das biologische System des Körpers abgestimmt ist. Vor allem der Fettstoffwechsel und somit die Grundlagenläufe lassen sich über die Herzfrequenz sehr gut steuern. Bei Tempoläufen oder Intervalltrainings dient der Puls hingegen nur zur Überwachung“, sagt Krista. Doch es gibt auch Nachteile: „Die Herzfrequenz kann von vielen Faktoren beeinflusst werden. Bei Hitze, und hoher Luftfeuchtigkeit steigt sie automatisch an. Das hat nichts mit den Stoffwechselvorgängen im Körper zu tun, sondern die Kühlung des Körpers funktioniert nicht mehr ausreichend“, erklärt die Sportwissenschafterin. Fünf bis sieben Schläge seien tolerierbar, bei zehn oder mehr Schlägen sollte das Tempo dementsprechend reduziert werden. Darüber hinaus könne man über die Herzfrequenz auch andere Rückschlüsse ziehen: „Der Ruhepuls ist ein sehr guter Indikator für den momentanen körperlichen Zustand. Ist er erhöht, kann dies ein Anzeichen für mangelnde Regeneration oder auch für einen schlummernden Infekt sein. Der Belastungspuls hingegen verrät etwas über die Stabilität des aktuellen Leistungszustandes. Ein niedrigerer Puls bei gleicher Intensität zeigt eine Anpassung des Körpers an. Ist der Puls unter Belastung auffallend niedrig oder sehr starr – also geht er mit der Belastung nicht mit –  ist dies ebenfalls ein Anzeichen für eine Übermüdung des Körpers.“

Und wie sollen Laufanfänger nun trainieren? „Grundsätzlich brauchen Anfänger nicht gleich einen Laktattest machen. Wichtig ist, langsam mit dem Training zu beginnen. Vielleicht die ersten zwei Minuten nur einmal gehen, um den Körper aufzuwärmen, dann ganz langsam in ein Lauftempo kommen. Es geht in erster Linie ums Wohlfühlen“, betont Krista Gruss-Brunner. „Später, wenn 30 bis 60 Minuten durchlaufen mühelos gehen und es an ein geplantes Training mit einem gesteckten Ziel geht, macht es durchaus Sinn, die individuellen Trainingsbereiche bestimmen zu lassen.“

Training wirkt

Rund eineinhalb Stunden hat mein Test auf der Laufbahn gedauert. Ich weiß nicht, der wievielte Laktattest es bereits war. In der Regel mache ich ihn zwei Mal im Jahr, vielleicht noch zusätzlich vor einem wichtigen Wettkampf. Dieses Mal sollte er Klarheit für das kommende Marathontraining schaffen. Wie steht’s um meine aerobe und anaerobe Schwelle und vor allem, was ist mit der Grundlage in den vergangenen Monaten passiert? Nach knapp vier Jahren Lauftraining kenne ich nun meinen Körper ganz gut. Somit hatte ich meine Schwellen bereits vorab in Gedanken festgelegt. Krista lieferte mir das Ergebnis schwarz auf weiß. Und siehe da: Ich hatte mich gerade einmal um eine bzw. zwei Sekunden vertan.

Dieses Körpergefühl kam jedoch nicht von heute auf morgen. Ich kann mich noch sehr gut an meinen allerersten Laktattest im September 2014 erinnern und die Wochen danach, in denen ich – verzweifelt auf die Pulsuhr schauend – meine Grundlage aufbaute. Meine Beine wollten schneller, doch wie so oft hatte der Kopf die Zügel in der Hand und bremste. Gut so, denn „Wer nicht lernt, langsam zu laufen, der wird niemals schnell werden“, sagte der ehemalige deutsche Langstreckenläufer und Buchautor Herbert Steffny.

Mühsam war es anfangs und es fühlte sich auch nicht wirklich nach laufen an. Doch am Ende hat es sich gelohnt: Bereits 16 Monate nach dem ersten Test hatte ich meine aerobe Schwelle um eine satte Minute verbessert und bin noch im selben Jahr in einem Bereich Marathon gelaufen, in dem im September 2014 die härtesten Intervalle angesetzt waren. Nach einem gesundheitsbedingten Tief im vergangenen Jahr bin ich nun wieder dort, wo ich ich vor meinem Knockout im Herbst 2016 aufgehört habe. Pulsgesteuertes Training ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. Seither muss ich nicht gelangweilt bei einer Herzfrequenz von 145 herumgurken, mit einer Pace, bei der mir die Füße einschlafen – ich bin nämlich Hochpulserin (mehr darüber gibt’s hier nachzulesen). Mit einem starken Fundament lasse ich Steffny heute beiseite und bin bei Emil Zatopek angelangt: „Warum soll ich im Training langsam laufen? Ich weiß, wie man langsam läuft. Ich will lernen, schnell zu laufen.“

1 Kommentar zu „Von der Kotzgrenze zur Marathonpace“

  1. Danke für den Artikel, der mich wieder bestärkt, langsam aufzubauen und nach der langen Laufpause nicht zu viel zu wollen. Aber es ist viel schwieriger als schneller zu laufen.

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