Wie ein Halber im Piestingtal zum ganz Großen wurde

Ja, warum eigentlich nicht. Andere Gegend, neue Strecke, gemeinsam statt einsam und vor allem wieder einmal eine Startnummer am Bauch tragen. Ein bisschen Wettkampfluft schnuppern. Das mache ich viel zu selten. Und das hat seinen Grund.

Meine Teilnahme beim Piestingtallauf am vergangenen Sonntag war ein Spontanentscheid. Soll ich, soll ich nicht? Diese Frage ging mir eine Woche vorher durch den Kopf und als ich den Coach fragte, ob nicht doch ein längerer Lauf mehr Sinn machen würde, war seine klare Antwort: Nein! Da hatte ich also den Salat. Wenn’s der Trainer sagt, wird’s gemacht und so meldete ich mich noch am selben Tag für den Halbmarathon im mir bis dahin unbekannten Piestingtal an. Das Streckenprofil versprach ein schnelles Rennen, dennoch war es für mich alles andere als a gmahde Wiesn. Einen Halbmarathon auf Zeit war ich seit dem Desaster in der Wachau 2017 nicht mehr gelaufen. Damals ging es mir nach nur fünf Kilometern bereits so bescheiden, dass ich mich am liebsten an den Straßenrand gesetzt hätte. Das gesteckte Ziel damals: 1:45. Geworden sind es 1:48:46, wobei es für diese 21,1 Kilometer damals nur eine Beschreibung gibt: Zach, zacher, am zachesten. Die Bleihaxen, die sich anfühlten, als würden sie am Asphalt festkleben, diese unendliche Schwere – einfach ein unbeschreiblich mieses Gefühl von Anfang bis Ende.

Das Wetter im Piestingtal ließ Erinnerungen an die Wachau aufkommen. Während es beim Hinfahren nur bewölkt war, begann es etwa eine Stunde vorm Start zu regnen, mal mehr, mal weniger stark. Dazu war es mit Temperaturen um die acht Grad empfindlich kalt. Kurz gesagt: nasskaltes Schmuddelwetter. Dementsprechend kuschelig wurde es beim Warten im kleinen Bahnhofgebäude, das uns Unterschlupf bot. Wie es schien, wollte fast niemand das Häuschen verlassen, doch kurz vorm Start nützte alles nichts: einlaufen war angesagt und somit schon vorm Start nass werden. Ob 20 Minuten mehr oder weniger lang nass, ist auch schon wurscht, dachte ich. Meine Muskeln werden es mir jedenfalls danken, wenn ich keinen völligen Kaltstart hinlege. Durch das späte Einlaufen fiel dann auch schon der Startschuss und ich war froh, mich endlich bewegen zu können und so die Kälte zu vertreiben.

Baumit Piestingtallauf

Was dann tatsächlich an diesem Sonntag abgegangen ist, weiß ich eigentlich nicht so genau. Während ich ohne meinen Trainer mit Sicherheit wieder gekniffen und nicht teilgenommen hätte, bin ich ihm heute unendlich dankbar, dass er mir quasi einen Tritt in den Allerwertesten gegeben und mich zum Start gedrängt hat. Denn schon kurz nach dem Start merkte ich: es läuft! Dieses Gefühl, wenn es sich auch mit einer Startnummer am Bauch endlich wieder leicht anfühlt, kannte ich seit sage und schreibe zwei Jahren nicht mehr (Berlin Marathon und PAGT ausgenommen, weil nicht auf Zeit gelaufen).

Alles kann, nichts muss

Meine Erwartungen an diesen Halbmarathon waren ehrlich gesagt so bescheiden wie das Wetter. Wenn es sehr gut läuft, wollte ich meine Bestzeit vom Februar 2016 in Angriff nehmen. Die erforderliche Pace dafür 5:04. Alles kann, nichts muss. Am Vortag war ich ganz und gar nicht motiviert und so hatte ich mich in Gedanken eigentlich schon mit dem anderen Ziel angefreundet: Wenn es nicht so mein Tag ist, sollte es zumindest ein feiner Tempodauerlauf etwa im Marathontempo werden. Das kann ich. Das mag ich. Alles andere wird mit Sicherheit wieder ein Desaster.

Aber zurück zum Lauf. Wie bereits erwähnt, merkte ich recht schnell, dass es mein Tag sein könnte. Die 10 Kilometermarkte passierte ich unter 50 Minuten und von da an lief es wider Erwarten immer besser. Mit jedem Kilometer mehr kam der Biss und ich wusste: heute oder nie! Geh’s an: die 1:45 holst du dir! Obwohl die Strecke bis auf ein paar Hügel meist leicht abfallend ist, hat sie ihre Tücken: durch den Regen war es teilweise recht rutschig, vor allem auf den Holzbrücken. Kurz vor dem Ziel wartete dann noch ein allerletzter Hügel, der mir vorkam wie eine Wand. Meine Oberschenkel brannten wie Feuer. „Auffi muas i“, stand da am Beton für uns Läufer geschrieben. Und „gleich geschafft“. Das Feuer loderte immer stärker in den Beinen und dennoch nahm ich fast kein Tempo raus. Ich wollte einfach nur ins Ziel, wurde schneller, lief von nun an wie in Trance.

Es begann wieder stark zu regnen. Mein Shirt war mittlerweile völlig durchnässt und hing bleischwer an meinem Körper. Mir war trotz der Anstrengung kalt, meine Finger waren steif. Bei Kilometer 19 begann ich zu rechnen: die 1:45 hast sicher. Wenn du dranbleibst, geht sich eine 1:43er Zeit aus. Tatsächlich konnte ich auf den letzten Kilometern noch einmal zusetzen, überholte Läufer vor mir, was mich wiederum motivierte. „Nur noch einmal 2000er wie auf der Hauptallee“, redetet ich mir ein. In meinen Ohren dröhnte „Papillon“ von den Editors. Mein neuer Intervallsong (Ich wusste übrigens bis heute nicht, dass das Video zum Song perfekt dafür passt).

Baumit Piestingtallauf

Während ich in der ersten Hälfte nur selten auf die Uhr geschaut habe, war das jetzt anders. Lauf, es geht sich aus! Mein Atem ging schwer, ich keuchte, meine Beine wollten nicht mehr. Nur noch wenige hundert Meter und dann war er endlich da – ich sah den Zielbogen, gab noch ein allerletztes Mal Gas und überquerte nach 1:43:44 die Ziellinie. Ich fühlte mich in dem Moment unendlich stark, unendlich erschöpft, aber auch unendlich glücklich. Aus der mit Vorbehalt im Hinterkopf gehabten 5:04er Pace wurde eine 4:56. Ich kann es auch heute noch nicht richtig glauben. Auch wenn die Strecke als schnell und leicht gilt. Für mich war dieser Sonntag ein unglaublicher Tag. Nach zwei Jahren endlich wieder ein Erfolgserlebnis bei einem Wettkampf, nach 32 Monaten endlich eine neue Halbmarathonbestzeit.

Noch im Auto auf der Heimfahrt überkam mich eine Welle des Glücks. Ich hatte einen Grinser im Gesicht, denn das Piestingtal hatte mir genauso wie Berlin vor ein paar Wochen etwas ganz Besonderes gegeben: Vertrauen in mich selbst!

Was war anders?

Doch genauso wie ich mich über den Erfolg freute, machte ich mir meine Gedanken. Nicht nur an diesem Sonntag, sondern die ganze vergangene Woche über: Was war es denn? Was war denn anders als bei den anderen in den vergangenen Monaten?

Einer meiner Blogbeiträge im Rahmen der 10k Challenge hatte den Titel „Die Summe der einzelnen Teile“. Was macht das Ganze also aus? Welche Teile braucht es dafür? Ich versuche hier einmal die für mich ausschlaggebendsten Faktoren zu nennen:

1. Der Trainer

Ein für mich sehr wesentlicher Faktor für Erfolg, mitunter der wesentlichste ist der Trainer. Es braucht ein gewisses Fingerspitzengefühl, um zu erkennen, was jemand braucht bzw. wie man jemanden zu seinem Ziel bringen kann. Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass es sich oft erst nach Monaten zeigt, ob jemand zu einem passt oder nicht. Das ist ja an und für sich nichts Negatives. Menschen sind verschieden und das ist gut so. Was bei mir nicht funktioniert, geht beim anderen voll auf und umgekehrt. Nach einem sehr schwierigen Jahr 2017 und einem harten ersten Halbjahr 2018 passt es nun. Die Form steigt und damit verbunden auch die Motivation.

2. Das Training

Sind die Trainingsvorgaben stets utopisch und bekommt man die Vorgaben nicht einmal annähernd hin, wird sich statt Motivation schnell Frust einstellen. Alles schon zur Genüge erlebt. Bei Sätzen wie „Warum ist es denn wieder nicht gegangen?“ möchte man demjenigen dann am liebsten an die Gurgel springen. Warum? Weil ich 1000er eben nicht 20 bis 25 Sekunden unter meiner anaeroben Schwelle laufen kann! Damit bin ich wiederum beim Fingerspitzengefühl des Trainers: Es ist ein schmaler Grat angemessen zu fordern, ohne zu überfordern.

Meine Vorgaben im Rahmen der 10k Challenge brachten mich nur allzu oft an den Rand der Verzweiflung. Ganz anders ist das heute. Wie es sich für eine echte Temposchisserin gehört, habe ich nach wir vor Bammel, wenn da z.B. 5×2000 + 4×500 am Plan stehen. Anspruchsvoll und alles andere als ein Honigschlecken ist es jedes Mal, keine Frage. Aber gerade einmal so, dass ich es hinbekomme. Manchmal oder in letzter Zeit immer öfter sogar ein Stückchen übertreffen kann. Damit wäre ich wieder der Motivation.

3. Der Druck

Immer wieder habe ich bei meinen missglückten Wettkämpfen im vergangenen Jahr zu hören bekommen: „Das ist alles Kopfsache. Du hast es drauf, kannst aber mit dem Druck nicht umgehen.“ Hm, ist das tatsächlich so? Macht man es sich damit nicht zu leicht, dass man alles auf die Person selbst und ihren vermeintlich schwachen Geist reduziert?

Als ich mit strukturiertem Training 2014 angefangen habe, kam ein Erfolgserlebnis nach dem anderen. Es ging viel weiter und die Fortschritte motivierten mich. Dazu kam: Ich habe nie Druck von außen bekommen. Weder von meinem Umfeld und schon gar nicht von meinem damaligen Trainer. Seine Prognosen in Bezug auf mögliche Wettkampfzeiten waren immer sehr treffend und im Rahmen dessen ging es in den meisten Fällen auf. Lief es einmal nicht so gut, war es halt so. Schlechte Tage gibt es. Das war damals so und ist auch nun wieder so. Mein jetziger Coach hat mich zwar zum Mitlaufen im Piestingtal gedrängt – ich kann schließlich nicht immer kneifen – eine Zielzeit samt Pace-Vorgabe habe ich jedoch nicht von ihm bekommen. Einzig und allein das Körpergefühl sollte entscheiden. Das war mit Sicherheit die beste Entscheidung. Nach dem Lauf meinte er dann zwar: „Das überrascht mich jetzt nicht, das hat sich ja bei den Trainings schon abgezeichnet, dass du das draufhast“. Im Vorhinein gesagt und damit unnötigen Druck aufgebaut, hat er aber nicht. Es ist eben nicht immer nur der eigene Kopf, der Stress macht.

Baumit Piestingtallauf

Tja und damit bin ich beim eigenen Druck, den man sich auferlegt. Wenn’s im Training gar so gut läuft, ist die Gefahr groß, dass man mehr will, als man kann. Das rächt sich in den meisten Fällen bitterböse. Bisher konnte ich mich meiner Meinung nach immer recht gut einschätzen. Kritisch wurde es nur dann, wenn der Druck von außen dazu kam und mir mehr zugetraut wurde, als ich meiner Erfahrung nach und von den Trainings her draufhatte. Die Erwartungen anderer wurden so zu meinen und die zu hohen Anforderungen überforderten.

4. Die kleinen Erfolge

In Sachen „alles Kopfsache“ fallen auch kleine Erfolgserlebnisse außerhalb vom Wettkampf. Wie bereits erwähnt, befinde ich mich derzeit auf dem aufsteigenden Ast. Die Formkurve zeigt seit ein paar Monaten kontinuierlich nach oben. Bei den Trainings kann ich mich beweisen, mein Körper ist endlich wieder topfit und kann Belastungen gut umsetzen. Diese kleinen Erfolgserlebnisse führten schließlich dazu, dass ich mit einem ganz anderen Gefühl am vergangenen Sonntag am Start gestanden bin. Ich wusste, dass ich gut drauf bin. Die Trainings konnten sich sehen lassen, es ging viel weiter. Und genau da liegt der Knackpunkt: Ich war von mir und meinen Fähigkeiten überzeugt. Das war ich im vergangenen Jahr nämlich nicht. Die Ziele und damit verbunden die vermittelten Vorgaben deckten sich nicht mit den Trainings. „Du kannst es, das weiß ich“ reicht mir nicht aus. Ich bin keine Wettkampfsau, die mit einer Startnummer am Bauch über sich selbst hinauswächst. Dazu bin viel zu viel Kopfmensch. Zu realistisch, als dass ich an Laufwunder glauben könnte. Daher brauche ich die Sicherheit in Form kleiner Erfolgserlebnisse beim Training. Womit ich wieder bei Punkt 1 und 2 wäre.

Schweigen ist (manchmal) Gold

An diesem Sonntag im Piestingtal war also alles anders. Als ich völlig durchgefroren endlich zuhause angekommen bin und gleich beim Türöffnen voller Stolz meinem Freund vom Lauf erzählte, meinte er nur „Das habe ich eh gewusst, dass du das kannst. Dass du unter 1:45 läufst, war ja klar.“ Haha. Wieder so einer, der es sich nur gedacht, aber nicht gesagt hat. Coach und bessere Hälfte können sich die Hand geben. Ganz im Sinne von „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ wussten beide, dass sie vorab besser nichts sagen. Es kann also schon mal gut sein, wenn Männer schweigen 😉

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