Trailpremiere PAGT18: Respekt, Zurückhaltung und was am Ende übrig bleibt

„Ausweis und Versicherungskarte?“ Check. „Handy?“ Check. „Trinkbecher?“ Check. „Traillaufschuhe und Funktionskleidung?“ Habe ich an. „Eine Bergschutzversicherung hast du auch?“ Ja. „Passt, dann bekommst du jetzt deine Startunterlagen.“ Obwohl es nur knapp 17 Kilometer werden, muss ich an so viel denken, als würde ich zu einer Expedition aufbrechen. Aber alles gut. Die junge Dame hat fein säuberlich alles abgehakt und händigt mir meine Sachen aus. Morgen ist es soweit: mein allererster Traillauf im hochalpinen Gelände. Gut, vor rund einem Jahr bin ich den Seiser Alm Halbmarathon gelaufen. Der Pitz Alpine Glacier Trail (kurz PAGT), vom 3. bis 5. August in den Pitztaler Alpen, ist aber dann doch nochmal eine andere Kategorie. Nämlich richtiges Traillaufen, ohne Asphalt und somit auch ohne die Option „ach, das geht doch auch in normalen Laufschuhen“.

1404. Meine Startnummer. Ich bin ein kleiner Zahlenfreak. Eine schöne Startnummer halte ich in aller Regel für ein gutes Omen: Das wird ein gutes Rennen. Am Vorabend checke ich nochmals die Pflichtausrüstung, lege alles bereit und schaue mir ein letztes Mal die Streckenkarte an. 16,6 Kilometer, 850 Höhenmeter. Klingt im ersten Moment nicht so wild, doch das Höhenprofil verrät: Die ersten 650 Höhenmeter gilt es bereits auf den ersten Kilometern zu bewältigen. Genau genommen geht es nach 1,5 Kilometern etwas mehr als drei Kilometer stetig steil bergauf. Der Berg auf der Streckenkarte flößt mit Respekt ein. Danach ist zwar der anstrengendste Abschnitt geschafft, aber was dann? Wollen oder besser gesagt, können meine Beine dann überhaupt noch laufen? Oder wird es ein Wandertag durch eine der schönsten Regionen Österreichs? Hm…

P15 oder doch P26

Vor etwa zwei Monaten habe ich mich dazu entschlossen, Neues auszuprobieren und mich auf unbekanntes Terrain zu wagen: Trail. In die Berg bin i schon immer gern. Bisher hauptsächlich zum Wandern. Gelaufen wurde zwar auch schon auf 2000 Metern, aber so gut wie nur auf Asphalt und Schotterstraßen. Alle Wege waren bisher mit normalen Laufschuhen zu bewältigen. An Singletrails, mit allem Drum und Dran, hatte ich mich bisher noch nie gewagt. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Also wann, wenn nicht jetzt?

Dass es der PAGT werden soll, war schnell klar, immerhin wirbt das Pitztal damit, „die Nummer 1 Trail Running Region Österreichs“ zu sein. Ausschlaggebend für die Wahl war aber nicht nur der vielversprechende Werbeslogan, sondern es waren vor allem die unterschiedlichen Distanzen: Okay, der P100 – die Königsdisziplin mit 106 Kilometer und 6100 Höhenmeter – sowie der P85 (90 Kilometer, 5400 Höhenmeter) und die beiden P42 Bewerbe (jeweils 44 Kilometer mit 2800 bzw. 2450 Höhenmetern) waren nicht ganz meine Kategorie und somit nach einmal Augen weit aufreißen und tief Luft holen abgehakt. Stattdessen hatten es mir der P26 und der P15 angetan. 28,1 Kilometer und 1600 Höhenmeter versus 16,6 und 850 Höhenmeter. In meinem Hirn ratterte es. „Der P26 eignet sich ideal für trainierte Läufer mit Halbmarathonerfahrung“, las ich auf der Homepage. Klares Ja. „Ambitionierte 10-km-Finisher mit Geländeerfahrung“, ging die Beschreibung weiter. Äh, ja. Bilder der 10k Challenge tauchten vor meinem inneren Auge auf. Schnell weg damit. „Bergläufer sowie trainierte Hobbyläufer und Volksläufer mit Geländeerfahrung.“ Ersteres nein, Zweiteres ja. Geländeerfahrung? Hm, habe ich die? Bisschen zumindest.

Von der Beschreibung her hätte ich mich dafür entscheiden können, dennoch zog ich sprichwörtlich den Schwanz ein und meldete mich nach langem Überlegen für den P15 an. „…bietet die perfekte Möglichkeit für Traileinsteiger, um diese Trendsportart auszuprobieren und die umliegende Pitztaler Bergwelt zu genießen…“, stand da. Einsteiger. Check. Genießen. Check. Passt. Nehm ich.

„Halb drei. Die P100 stehen jetzt schon am Start. Wow“, denke ich, drehe mich auf die andere Seite und versuche wieder einzuschlafen. Die Nacht vor einem Wettkampf ist meistens unruhig. Tausende Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ich bin nervös und habe Respekt. Weniger vor der Distanz, aber vor den Höhenmetern. Nicht dass ich das nicht schon mal gelaufen wäre. Erst vor einer Woche hatte ich in Wien erstmals Trailluft geschnuppert. Schon so lange in der Stadt, aber die Runde „Rund um den Lainzer Tiergarten“ (RULT) hatte ich bisher nur vom Hörensagen gekannt. Also ab in den Wiener Wald. 24,5 Kilometer und rund 800 Höhenmeter (inkl. verlaufen) hatte ich nach zwei Stunden und 45 Minuten an diesem 29. Juli, also sechs Tage vorm PAGT, auf meiner Uhr stehen. Es war anstrengend. Aber nicht vergleichbar mit einem alpinen Traillauf. Schon allein die 1650 Meter Seehöhe machen beim Start die Luft auch ohne Anstrengung dünn. Wie wird es werden? Wird es ein Wandertag oder kann ich gut durchlaufen? In meinem Gedankenkreisel schaffte ich es doch irgendwann wieder einzuschlafen, war jedoch pünktlich vorm Klingeln des Weckers um kurz vor sechs Uhr wieder wach.

Start ins Ungewisse

„3, 2, 1“, höre ich und im selben Moment einen lauten Startschuss. Die P26 Läufer machen sich auf den Weg. Noch 45 Minuten, dann heißt es auch für mich: auffi aufn Berg! Ich checke ein letztes Mal meine Schuhe, den Rucksack und stelle mich schließlich in den Startblock. „Jetzt geht es gleich los. Ich bin total nervös, weil es mein allererster Traillauf ist“, sagt eine Teilnehmerin neben mir. „Dann sind wir schon zwei. Für mich auch. Ich bin auch nervös. Aber wir machen das schon“, sage ich. Und dann geht es endlich los.

Laute Musik ertönt. „3, 2, 1“, höre ich wieder. Peng. Anders als bei Straßenläufen hirschen nicht sofort alle vorne weg, sondern es wird recht gemütlich angelaufen. Beim Traillaufen kann man am Anfang nichts gewinnen. Das wissen wohl alle. Wir sind ein kleines Starterfeld von nur 172 Teilnehmern. Dieses wurde noch einmal in zwei Blöcke getrennt, sodass es auf den schmalen Wegen zu keinem Massenauflauf kommt. Ich habe mich mittig im zweiten und somit letzten Block eingereiht. Lieber vorsichtig und zurückhaltend angehen als eingehen, so meine Devise. Etwa eineinhalb Kilometer haben wir sozusagen zum Warmwerden. Dann beginnt der härteste Abschnitt: Die etwas mehr als drei Kilometer mit 650 Höhenmetern hinauf zur Sunna Alm.

Schritt für Schritt geht es hinauf. Ich schaue die meiste Zeit auf den Boden, auf die Füße vor mir. So schön die Gegend auch ist, Unachtsamkeit kann auf dem Terrain schnell mal eine Verletzung nach sich ziehen. Wie gestern beim kurzen Aktivieren nach der langen Zugfahrt. Einmal nicht hingeschaut und schon war es passiert: ich knöchelte um. Tja. Dafür eben heute umso mehr aufpassen. Ich habe zwar eine Bergschutzversicherung abgeschlossen, aber die Rettung mit dem Heli, weil ich alleine nicht mehr runterkommen, muss ich mir dann doch nicht geben. Also Vorsicht walten lassen.

Es ist steil und wird immer steiler. Die Sonne brennt mir ins Gesicht und lässt gleichzeitig die Pitztaler Bergwelt rund um uns wie in einem Hochglanzwerbemagazin aussehen. Ein Traum! Mittlerweile werden die ersten Teilnehmer vor mir langsamer, einige bleiben schließlich stehen und lassen die Nachkommenden vorbei. Ich könnte teilweise schneller gehen (in meiner Kategorie läuft auf diesen ersten Kilometern zur Sunna Alm niemand), das ist aufgrund der schmalen Trails aber nicht möglich. Egal, denke ich. Die Zeit ist echt egal. Zum ersten Mal seit der 10k Challenge trage ich heute wieder eine Startnummer und es fühlt sich einfach nur gut und richtig an. Der Respekt vor dem, was hier und heute auf mich zukommt, war groß. Die Vorfreude aber noch viel größer.

Der höchste Punkt

Im Vorfeld hatte ich mir ausgerechnet, in welcher Zeit ich ungefähr die knapp fünf Kilometer bis zur Sunna Alm zurücklegen werde. Ich schätzte etwas mehr als eine Stunde und lag schließlich mit 1:12:08 ziemlich richtig. Da war sie also, die erste und einzige Labe. Ich fülle meine Soft Flasks nach, trinke ausgiebig und lasse mich nicht hetzen. Auch die anderen Teilnehmer um mich herum kämpfen nicht um jede Sekunde. „Das Feeling beim Traillaufen ist ganz ein anderes. Jeder ist entspannt.“ Wie oft hatte ich das schon gehört. Es stimmt tatsächlich.

Dann geht es weiter, hinunter zum Rifflsee. Hier sind einige Wanderer unterwegs. Alle bleiben stehen, beklatschen uns. Was mir ab diesem Teil besonders gut gefällt: Außer zwei, drei Teilnehmer vor und hinter mir, bin ich fast alleine unterwegs. Ich bin eins mit mir und mit der Natur. In dem Moment als ich um den See laufe, geht mir sprichwörtlich das Herz auf. Nach dem steilen Anstieg fühlt sich das Laufen wider Erwarten total unbeschwert und leicht an. Da durch den Schotterweg keine Gefahr besteht, dass es mich über eine Wurzel haut oder ein unachtsamer Tritt meinen Fuß wieder wegknicken lässt, kann ich zum ersten Mal das einzigartige Panorama in vollen Zügen genießen. Ein Glücksgefühl überwältigt mich und ja, auch wenn es jetzt kitschig klingt, ich kämpfe ein bisschen mit den Tränen. Weil ich in dem Moment einfach nur glücklich bin.

Auf den nächsten Kilometern geht es mal rauf, mal runter. Das macht müde. Um mich zu orientieren, schaue ich auf meine Startnummer, auf der das Streckenprofil praktischerweise seitenverkehrt abgebildet ist. „Ok, ein paar kleine Anstiege noch, dann ist es geschafft und es geht hinunter“, denke ich. Dass ich mit dem Hinunter aber weniger Freude haben werde als mit dem Hinauf verdränge ich in dem Moment.

Schluss mit lustig

Schon sehr bald ist dann Schluss mit lustig. Ich gehe. Langsam und vorsichtig. Downhill war noch nie meine Stärke. Weder beim Radfahren und schon gar nicht beim Laufen. Schwerpunkt nach vorne oder zurück? Viele kleine Schritte und sich einfach quasi runterfallen lassen? Ich höre Stimmen hinter mir. Sie kommen immer näher. Zwei Männer wollen vorbei und ich lasse ihnen den Vortritt. Mein Mund bleibt fast offenstehen, als ich sehe, in welch einem rasanten Tempo sie den Trail hinunterrasen. „Egal. Konzentriere dich. Weiter geht’s“, denke ich. Schon bald werde ich wieder überholt und wieder und wieder. Teilnehmer, die ich am Berg zurückgelassen hatte, holen mich wieder ein. Darunter auch zwei Frauen, die mit einer scheinbaren Leichtigkeit hinunterlaufen, als würden sie nie etwas anderes tun. Ich ärgere mich ein bisschen über meine Zaghaftigkeit. Egal. Weiter.

Irgendwann nimmt schließlich auch der steilste Hang ein Ende. Ein Blick auf die Startnummer verrät: Es geht bergab. Moderat. Yeah! Also schauen, was die Beine noch so hergeben. Ich werde schneller und schneller. Schaue auf meine Uhr und kann nicht glauben was dasteht. Oh Wahnsinn, das geht ja noch richtig, richtig gut! Als ich nach vorne schaue, sehe ich eine der Läuferinnen, die mich vorhin beim Bergab überholt hat. Wenige Sekunden später bin ich an ihr vorbei. Und auch die zweite taucht wieder vor mir auf. Als ich an ihr vorbeilaufe, will sie für einen kurzen Moment mitziehen, doch es gelingt ihr nicht. Mittlerweile ist es nur noch ein Kilometer bis ins Ziel. Zuschauer an der Strecke feuern uns an. Ich befinde mich in einem Glücksrausch. Wenn es ein Runners High gibt, dann jetzt. Auf den letzten paar hundert Metern sammle ich noch zwei, drei Männer ein. Ich kann es kaum glauben, aber ich laufe den letzten Kilometer wesentlich schneller als mein 10er Tempo, ja sogar als mein 5 km Tempo (das sich vom 10er Tempo eigentlich eh nicht unterscheidet ;-)). Dann geht es zweimal scharf nach rechts und wieder nach links und schließlich ist er da: der Zielbogen. Nach 2:36:26 habe ich es geschafft. Überglücklich und ja, stolz, nehme ich die Medaille entgegen. Jeder Bewerb hat eine andere Schleifenfarbe, die vom P15 ist grün.

Im Ziel muss ich alles erst einmal sacken lassen. Obwohl es nicht die tollste Zeit ist, bin ich mit meiner Premiere mehr als zufrieden. Es war mit Sicherheit der schönste Lauf mit Startnummer seit mehr als einem Jahr – seit dem Seiser Alm Halbmarathon. Die Vorbereitung war nicht wirklich auf einen Berglauf ausgelegt. Ich war einmal auf die Wiener Hausberge gelaufen und wie bereits erwähnt, hatte ich sechs Tage vorher RULT-Premiere gefeiert. Dazu kommen ein paar Tage Urlaub in den Dolomiten, die mir wohl am meisten gebracht haben. Mit mehr Vorbereitung geht schon noch mehr, davon bin ich überzeugt. Im Nachhinein gesehen hätte ich mich wohl doch an den P26 wagen können. Ich hatte am Tag danach weder Muskelkater noch sonstige Wehwehchen. Tja. Egal. Der PAGT19 kommt bestimmt. Dann auch mit einer anderen Distanz. Das steht fest.

Was bleibt vom Trail?

Schon am Nachmittag, beim Relaxen im Garten des Hotels, stelle ich mir die Frage „Was war der Unterschied? Was hat der Lauf mit mir gemacht?“ Klar, Premierenläufe sind immer druck- und stressfrei. Aber das ist es nicht. Es ist das Gesamtpaket: Ich liebe die Berge. Das Gefühl, wenn man oben angekommen ist, ist unbezahlbar. Ich liebe es beim Laufen nichts zu hören, außer die Geräuschkulisse der Natur. Und ich mag Herausforderungen. Manchmal braucht es Veränderungen in beide Richtungen, um zu erkennen, was zu einem passt. Ja, ich setze mir gerne Ziele, eine persönliche Challenge. Nur Genusslaufen ohne Ambition wäre mir auf Dauer zu langweilig. Ich mag es mich zu fordern, an meine Grenzen zu gehen. Der PAGT hat mich auf einen neuen Weg gebracht, auf dem all das möglich ist. Danke Pitztal, es war mir ein Fest!

2019 wird mein Weg auf Trails weitergehen. Jetzt gibt es aber vorerst ein neues, anderes Ziel. Unverhofft kommt eben doch oft. Schneller als ich denken kann, stehe ich bald wieder an einer Startlinie. Einer, mit bisschen mehr Leuten um mich herum, bei etwas, für das ebenfalls mein Herz schlägt. Der Respekt ist groß, die Vorfreude noch größer…

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert