Renn einfach!

Summmmmm. Runde zehn, sprich zehn Kilometer sind erreicht. 46:48 steht da. Offiziell sind es aber noch ungefähr 200 Meter. Dieses blöde Mistding ist ihrer Zeit wieder einmal voraus. Ich habe die zehn Kilometer noch nicht erreicht. Zwei Kurven sind’s noch. Da drüben ist der Bogen. Wieso ist der auf einmal viel weiter weg als nach der ersten Runde? Meine Beine können zwar noch, aber luftmäßig ist die Luft raus. Lange geht das nimmer. Denk an was anderes, denk an was Schönes. Denk an irgendwas, nur nicht an die Luft. Ich denke, besser gesagt, rechne. Eine neue persönliche Bestzeit ist es auf jeden Fall. Doch es könnte tatsächlich die Sieben davorstehen. Siebenundvierzig irgendwas. Also alles an Energie in die Beine nehmen, die noch irgendwo und irgendwie zu finden ist und… Renn einfach! Renn! Letzte Kurve. Von Weitem sehe ich die großen, grünen Ziffern der Zeitanzeige: 47:53, 54, 55…

Stopp. Genau 48:00 steht auf meiner Uhr, als ich auf der Ziellinie die Stopptaste drücke. Geht sich’s aus oder doch nicht? Abwarten, was das offizielle Ergebnis sagt. Meistens ist man am Start ja übermotiviert und drückt bevor die Zeitmatte wirklich genau unter den eigenen Beinen ist. Aber eigentlich egal. Denn ich bin geflasht. Von mir. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich hier und heute, beim Schlossparklauf Laxenburg meine alte Bestzeit um fast eine Minute unterbiete, hätte ich ihm den Vogel gezeigt und wahrscheinlich ein grantiges „Lass mich mit einem Zehner einfach in Ruhe“ gemurmelt.

Ich bin bisher erst dreimal offiziell zehn Kilometer unter 50 Minuten gelaufen. Der erste war 2015 beim Altstadtlauf in Mödling. Etwa vier Wochen später kam ich beim Silvesterlauf in Krems nach 48:46 ins Ziel. Das war sie, meine bisherige Bestzeit. Ein Jahr später am selben Ort waren es 49:15. 49 Minuten und 15 Sekunden sterben. An dem Tag ging es mir so schlecht, dass ich schon nach zwei Kilometern dachte, aus und vorbei.

Danach ging nichts mehr. Aus gesundheitlichen Gründen und, weil mir die Lust aufs Sterben auf zehn Kilometern vergangen war. 2017 bin ich keinen einzigen Zehner gelaufen. 2018 war es einer. Der bisher wichtigste in meinem Läuferleben: Als Teilnehmerin der 10k Challenge des Österreichischen Frauenlaufs. Die Zeit war von Anfang an auf 45 Minuten ausgelegt. Überforderung pur. Meine Beteuerungen, dass ich nicht Typ Rennpony bin und auf kurzen Distanzen Leistungssteigerungen im Minutentakt nicht so einfach aufgehen, wie ein Germteig im warmen Backofen, wurde ausgeklammert. „Du machst das schon!“ Gemacht habe ich es. Herausgekommen ist die schlechteste Zeit seit Jahren.

Kurze Zeit später hatte ich mir zwar versichert, dass ich nicht mehr so lange warte und bald wieder am Start stehen werde. Denkste. Mit dem Wechsel zurück zu meiner großen Laufliebe Marathon, wurde aus dem vorgenommenen Zehner schlicht und einfach nichts. Wozu? Wozu wieder irgendwo am Start stehen, wenn’s mir keinen Spaß macht? Wem muss ich denn beweisen, dass ich auch den Zehner einigermaßen hinkriege? Niemanden!

So tat ich endlich wieder das, was mir wirklich Spaß macht: Marathon laufen. Berlin und Valencia. Meine Highlights im vergangenen Jahr. Die neue persönliche Bestzeit auf den 42,195 Kilometern war der krönende Abschluss eines schwierigen Jahres. Ich war endlich wieder da, wo ich vor zwei Jahren aufgehört hatte. Was lange währt, wurde endlich gut.

Alarmglocken im Hirn

„Ich will, dass du irgendwann davor einen Zehner läufst.“ Alarmglocken in meinem Hirn. Was? Ich? Zehn? Neeeeeein! Nachdem ich mit der Schilderung meiner bisherigen Erfahrungen fertig war, meinte mein Trainer dann nur scherzhaft: „Du scheinst ja richtig traumatisiert zu sein.“ Ja eh 😉

Es sollte also irgendwann sein. Eventuell am 17. Februar oder 17. März beim Schlossparklauf in Lauenburg. „Mir ist völlig wurscht, welche Zeit du da rennst, Hauptsache du rennst“, sagte mein Trainer im Jänner. Widerreden oder gar Ausreden suchen war zwecklos. Das war Anfang des Jahres, als ich wieder ins Training einstieg.

In den darauffolgenden Wochen gab es viele, sehr viele locker Läufe. Fokus: Marathon. Der Zehn-Kilometer-Wettkampf sollte als Tempodauerlauf mitgenommen werden. Tempotraining war daher bis auf längere, marathonspezifische Sachen gar nicht dabei. Es gab zwar die berüchtigten 5×3 Kilometer, über die ich hier vor zwei Wochen geschrieben habe, anaerob wurde es jedoch nie. Also nach Luft japsen blieb bisher aus. Stattdessen wurde der Umfang wieder hochgeschraubt. 114 Kilometer war meine bisherige Peakwoche. So stehe ich dieses Jahr bereits bei 716 Kilometern. Richtiges Intervalltraining – Fehlanzeige. Das letzte war am 31. Oktober 2018. Gut so. Ich war froh über die softe Eingewöhnung nach der Auszeit im Dezember. Den angekündigten Zehner hatte ich daher so gut wie vergessen. Unter anderem auch, weil er plötzlich so gar nicht mehr hineinpasste. Zumindest nicht der im Februar.

Dann kam der Biss

Die Woche vor dem besagten Schlossparklauf war ich nämlich in Köln. Endproduktion für das Magazin LÄUFT. stand an. Sprich: viel Arbeit, wenig Schlaf. „Der Zehner jetzt mir wurscht, es gibt eh noch den im März.“ Yes, das ist ja mal ne Ansage.

In Köln lief ich trotz Stress jeden Tag. Den Schlossparklauf war längst ad acta gelegt. Somit gab’s auch kein Tapern. Am Donnerstag stand ein Fahrtspiel an. Um sechs Uhr am Rheinufer entlang. Zappenduster, wie die Deutschen so schön sagen, war es. Viel zu finster, um irgendwas auf der Uhr zu sehen. Also einfach nach Gefühl und Lust und Laune. Fahrtspiel halt. Dass ich in den 45 Minuten dann tatsächlich 9,1 Kilometer gelaufen bin, habe ich erst im Hotelzimmer gesehen. Ich bin diese Art von Fahrtspiel schon oft gelaufen. Die 45 Minuten unter 5er Schnitt hatte ich noch nie – wow!

Donnerstag kam ich spät abends zurück nach Wien. Freitagfrüh gab’s ne Runde und zack, plötzlich war er da: der Biss. Ich will am Sonntag den Zehner laufen! Mein Freund traute seinen Ohren nicht, als ich das sagte. Am Samstag war ich dann doch kurz davor einen Rückzieher zu machen. Aber irgendwie hatte ich einfach Bock drauf. Just for fun. Einfach so. Das Jahr 2018 hat mich verändert.

Mutig sein

„Wer Geduld sagt, sagt Mut, Ausdauer, Kraft“, lautet ein Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach. Ich musste viel Geduld aufbringen, um endlich wieder da zu sein, wo ich 2016 aufgehört habe. Das erforderte Ausdauer und Kraft. Nun geht es an den Mut. Und den hatte ich zum Glück am vergangenen Sonntag. Auch wenn der schlaue Wettkampfrechner anhand meiner Marathonzeit in Valencia eine neue Bestzeit ausspuckt. Bisher bin ich noch nie die Zehnerzeit gelaufen, die ich laut meiner Marathonzeit laufen können sollte. Ich bin eben kein Rennpony, das weiß ich. Daher habe ich es mir auch nicht zugetraut, meine bisherige Bestzeit in Angriff zu nehmen. Meine Erwartung war, keine besondere Erwartung zu haben. Im besten Fall 49:irgendwas. Also knapp unter 5:00 zu laufen, wäre gut. Meine Devise: Renn einfach! Und schau was passiert.

4:16. Ahhhh, schei**e! Wenn du so weitermachst, bist du nach einem Kilometer tot! Der Start in Laxenburg war schnell, viel zu schnell. Runter vom Gas. Daraufhin finde ich schnell meinen Rhythmus und merke: heute läuft‘s. Locker, flockig, statt sterben. Gibt’s denn das? Immer wieder starre ich ungläubig auf die Pace, die sich mittlerweile um die 4:47 eingependelt hat. Stimmt das? Kann das sein? Als ich nach 23:59 durch den Start- und Zielbogen zur zweiten Runde aufbreche, erwarte ich jeden Moment den Einbruch. Aber auf einmal scheint es tatsächlich aufzugehen. Es läuft extrem gut. Ohne Druck. Ohne Tamtam im Vorfeld. Ohne Tapern. Ohne HIT im Training und ohne besonders hot drauf zu sein im Geiste.

48:00 steht auf meiner Uhr im Ziel. 47:59 sind es offiziell geworden. Die Sieben ist sich ausgegangen. Und es hat tatsächlich Spaß gemacht. Nach drei Jahren, beim dritten Anlauf, hat diese Distanz wieder Spaß gemacht. Zur Krönung gibt’s zum allerersten Mal in meinem Läuferleben einen Stockerlplatz. Platz Zwei in meiner Altersklasse, Platz Vier gesamt. Irgendwie schon cool, andererseits auch sowas von egal. Gesiegt habe ich an dem Tag aber tatsächlich: über mich selbst.

Der Zehner ist jetzt erstmal abgehakt. Wann ich wieder einen laufe? Schau ma mal. Und wisst ihr was: da geht noch was 😉

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