„Ich habe den Krebs besiegt, also schaffe ich auch einen Marathon”

Ungestüm, lachend, mit einer enorm positiven Ausstrahlung, kommt Jacqueline schnellen Schrittes auf mich zu. Die Begrüßung ist herzlich, die junge Wienerin grinst von einem Ohr zum anderen. „Schön, dass wir uns endlich live sehen“, sagt sie gleich zu Beginn. Dabei ist der Anlass eigentlich kein schöner. Obwohl, im Grunde genommen doch, denn die traurige Geschichte von Jacqueline hat ein Happy End. Bevor die 31-Jährige aber loslegen kann, betone ich, dass sie nur so viel preisgeben soll, wie sie wirklich will. Denn das Thema ist persönlich, sehr persönlich. „Nein, nein, das ist schon ok. Ich will darüber reden, denn das machen leider noch immer viel zu wenige. Es ist leider noch immer ein Tabuthema”, meint sie.

Begonnen hat Jacquelines Geschichte fast auf den Tag genau vor vier Jahren. Es war ein Oktobertag, an dem die damals 27-Jährige wegen einer Kehlkopfentzündung zum Arzt ging. Doch die vermeintlich harmlose Entzündung stellte sich als etwas heraus, womit die junge Frau nicht in ihrem schlimmsten Alptraum gerechnet hätte: Krebs.

„Der Arzt hat es beim Ultraschall entdeckt und mich sofort zu weiteren Untersuchungen geschickt. Da hat sich dann tatsächlich gezeigt, dass ich Lymphknotenkrebs habe“, sagt Jacqueline. Die Fröhlichkeit ist aus ihrem Gesicht verschwunden. Ich schlucke und verspüre einen Kloß im Hals, als sie weitererzählt. „Zehn Tage später habe ich mit der Chemotherapie begonnen.“

Haare ab

Bis dahin sei sie ein sehr oberflächlicher Mensch gewesen. „Mein erster Gedanke als das Wort Chemotherapie fiel, galt meinen Haaren. Ich hatte immer lange Haare und sie zu verlieren, war das Schlimmste, das ich mir damals vorstellen konnte. Dass ich an einer lebensbedrohenden Erkrankung leide, habe ich anfangs verdrängt“, sagt die heute 31-Jährige. Gemeinsam mit ihrem damaligen Freund (heute sind die beiden verheiratet) hat sie sich schließlich die Haare abrasiert und nahm die ganze Situation mit Humor: „Mein erster Gedanke war: gar nicht so übel, eine Glatze steht mir eigentlich auch gut.“

Was folgte waren sechs Monate, die sie, wie sie sagt, ihrem größten Feind nicht wünscht. „Die Chemo dauerte bei mir vier Zyklen, jeweils von Montag bis Mittwoch. Dazwischen bin ich anfangs noch arbeiten gegangen, weil ich Angst um meinen Job hatte. Das ging dann aber bald nicht mehr.“ Die bleierne Müdigkeit lähmte. „Oftmals brauchte ich 15 Minuten um zur Toilette zu gehen. Da muss man dann schon früh los und darf nicht warten, bis es wirklich dringend ist“, erzählt sie und lacht wieder.

Doch auch die schrecklichste Zeit geht irgendwann vorbei. Heute ist Jacqueline gesund, hat wieder lange Haare. „Die wachsen nach der Chemo wie Unkraut. Das ging schnell. Nur färben tue ich sie seither nicht mehr. Jetzt stehe ich zu meinem Straßenköterblond.“

Von Zero zum Marathon

Was Jacquelines Geschichte mit dem Laufen zu tun hat? „Ich laufe erst, seitdem ich den Krebs besiegt habe. Davor hat mich das gar nicht interessiert“, sagt die Wienerin. Seit 2016 ist sie bei den Adidas Runners Vienna dabei. „Weil es damals so wenige Mädels in der Community gab, hat eine Zeitschrift den Aufruf gemacht, sich zu bewerben. Das habe ich gemacht und wurde tatsächlich genommen.“

Im März 2017 dann das erste große Ziel: Berlin Marathon. „Wir Mädels wurden damals unter dem Motto ‚von Zero zum Marathon‘ unterstützt, um unseren ersten Marathon in Berlin zu laufen. Binnen sechs Monaten wurden wir mit Laktattest und Trainingsplan gedrillt, um im September an den Start zu gehen“, sagt Jacqueline und redet gleich weiter: „Mein erster Gedanke war: ach du Scheiße, was habe ich mir da angetan.“

Am 24. September 2017 war es dann soweit: Jacqueline lief gemeinsam mit ihrem Mann ihren ersten Marathon. Einfach war es nicht, aber: „Als der berühmt berüchtigte Mann mit dem Hammer kam, dachte ich nur: ich habe den Krebs besiegt, also schaffe ich auch einen Marathon!“

Gedacht, getan. Jacqueline hat ihren ersten erfolgreich gefinished und ist seither dem Laufen treu geblieben. „Ich liebe es und kann mir mein Leben ohne Laufen nicht mehr vorstellen“, sagt sie. Bei den Adidas Runners Vienna ist die 31-Jährige mittlerweile ein sogenannter Crew Runner. „Das heißt, ich leite bei den gemeinsamen Läufen eine eigene Pace-Gruppe. Jeden Mittwoch gibt es den Girls Run und am Donnerstag den Slow Run, bei denen ich dabei bin.“

Krebsforschungslauf

Doch auch abseits ihrer Adidas Community zeigt sie Engagement. Ein Event, das sich Jaqueline in diesem Jahr schon lange fett in ihrem Terminkalender notiert hat, ist der Krebsforschungslauf, der am Samstag, 6. Oktober, am Campus der Uni Wien im Alten AKH stattfindet. Von zehn bis 14 Uhr werden pro gelaufener Runde (diese ist eine Meile lang) für die Krebsforschung Spenden gesammelt, die zu 100 Prozent Forschungsprojekten an der MedUni Wien zugute kommen (hier gibt’s alle Infos zum Krebsforschungslauf).

Jacqueline ist wie ich eine sogenannte „Laufbotschafterin“, denn auch wenn wir uns persönlich bis vor Kurzem nicht kannten, das Thema Krebs verbindet uns. „Ich habe gemerkt, dass es für Angehörige oft schwieriger ist damit umzugehen, als für Betroffene. Ich wusste wie es mir geht, die Müdigkeit, die Schmerzen, das war halt dann so. Als Angehöriger kann man nur hilflos zusehen“, meint Jacqueline.

Damit hat sie recht. Umso wichtiger ist es, da aktiv zu sein, wo ich etwas dazu beitragen kann, dass zukünftig noch mehr in die Erforschung von Therapien investiert werden kann. Mein Appell: Lauft und spendet. Damit der Zecke, die an der Lebensfreude saugt (wie ich schon einmal geschrieben habe) irgendwann der Garaus gemacht werden kann. Wenn nicht am 6. Oktober in Wien, dann bei einem anderen Event in eurer Nähe. Für Kurzentschlossene beispielsweise heute, 29. September, beim Pink Run in Bad Gastein zugunsten der Pink Ribbon Initiative der Österreichischen Krebshilfe.

Unser Treffen ist wie im Flug vergangen. Eineinhalb Stunden haben wir gequatscht. Die Verabschiedung fällt schließlich genauso herzlich aus wie die Begrüßung. Jacqueline sprüht vor Lebensfreude, weiß jeden Augenblick zu schätzen, das sieht man ihr an. Erst vor wenigen Tagen hatte sie wieder ihre Kontrolluntersuchungen. „Die Tage davor leide ich immer Höllenqualen.” Da sei sie extrem nervös, könne nicht schlafen. „Aber alles ok. Ich habe den Krebs besiegt.”

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