Das letzte Kapitel der 10k Challenge

„Puh, das wird eine Hitzeschlacht. Es ist jetzt schon so warm. Rennst du auch den Halben?“„Ja“, sagt der Typ neben ihm. „Das wird ein Spaß. Wenn ich es bei dem Wetter unter zwei Stunden schaffe, bin ich zufrieden. Irgendwann möchte ich mal unter 1:50 laufen, das wär‘ schon was. Bei den Temperaturen aber unmöglich. Was willst du denn rennen?“ „Eigentlich unter 1:20. Wird hart, weil es so heiß ist.“ „Oh wow“, sagt der andere und man sieht an seinem Blick, dass die genannte Zeit ihm ein bisschen die Sprache verschlägt. Die U-Bahn hält und ein Mann setzt sich dazu. Schaut sich um und sagt schließlich: „Rennt ihr etwa alle heute einen Wettbewerb? Bei dem Wetter?“ Es folgt ein einstimmiges Ja. Ja, bei dem Wetter. „Es ist viel zu warm. Einfach irgendwie ins Ziel kommen, mehr ist da nicht drin“, sagt der Zwei-Stunden-Mann und nimmt einen letzten Bissen von seiner Banane.

Die Diskussion ums Wetter nimmt kein Ende. Es wird analysiert, wo es Wasser auf der Strecke geben wird. „Mehr davon wäre sicher nicht schlecht. Vielleicht gibt es ja Sprühduschen.“ Ich sitze still daneben und möchte eigentlich nur sagen: „Hey Jungs (oder um es so zu formulieren, wie ich es mir eigentlich gedacht habe: hey ihr Luschen), haltet einfach die Klappe.“ Ja, es ist warm. Sehr warm. Aber: Ich will das jetzt nicht hören. Die 34 Grad gestern hatten meinen (Angst-)Schweiß genug zum Fließen gebracht. Da brauche ich jetzt nicht auch noch am Weg zum Start Männer, die darüber jammern.

Die U-Bahn hält wieder und der Typ, der sich vorhin dazugesetzt hat, steht auf. „Viel Spaß Jungs. Ich geh dann mal schlafen.“ Ein Überbleibsel von der Nacht also. Seine Party war zu Ende. Meine sollte in rund eineinhalb Stunden beginnen. Statt Promille gibt’s eine ordentliche Portion Laktat im Blut. Eine ausschweifende Berliner Partynacht, wie in guten alten Zeiten, wäre mir in dem Moment ehrlich gesagt lieber gewesen. Tja… Ich war nicht nach Berlin gekommen, um die Nacht durchzufeiern, sondern um das zu tun, das nach den vergangenen Monaten längst überfällig war: einen g’scheiten Zehner laufen!

Hey du Luschi, renn einfach!

Für meinen Zehner hatte ich mir mein Berlin ausgesucht. Ich liebe diese Stadt einfach und müsste ich mich für eine andere Wohnstadt als Wien entscheiden, fiele die Wahl ganz klar auf Berlin. Es gibt auch viele andere tolle Städte, keine Frage, aber in keiner fühle ich mich so sehr zuhause wie in Berlin. Aber ich schweife vom Thema ab.

Berlin also. Dass es am 1. September noch so heiß sein sollte, war jedoch nicht geplant. Schon die ganze Woche über war ich mit dem Wetterbericht beschäftigt und die Vorhersagen für den Renntag brachten Temperaturschwankungen von „nur“ 30 Grad bis zu 34 Grad. Der Temperatursturz war dann pünktlich einen Tag zu spät angekündigt: Montag, 22 Grad Höchsttemperatur. Na toll! „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich gar nicht angemeldet“, haderte ich zuhause, als ich wieder einmal das prognostizierte Wetter studierte. Denn, nix Neues: Ich vertrage keine Hitze und leide einfach nur. „Oder ich hätte zumindest mal später trainiert, um mich ein bisschen daran zu gewöhnen.“ Naja, zu spät. Kneifen gilt nicht. Und um bei der Situation in der U-Bahn zu bleiben, sagte ich mir: „Hey du Luschi, renn halt einfach!“

Die Schlange vor den Wasserhähnen ist beinahe so lang wie vor den Toiletten. Nach dem Einlaufen tropft der Schweiß, ich bin klitschnass. Es ist kurz vor acht Uhr und das Einzige, das ich will, ist Wasser. Wasser, bitte Wasser. Trinken und vor allem den Körper damit noch irgendwie runterkühlen. 25 Grad um diese Uhrzeit und blitzblauer Himmel versprechen tatsächlich eine Challenge zu werden. Und damit schließt sich der Kreis: eine 10k Challenge. Meine persönliche. Ohne die Aufmerksamkeit der Frauenlauf-Öffentlichkeit (Hier gibt es alles zur damaligen Challenge nachzulesen).

Der Start des Halbmarathons

„Liebe Teilnehmer, es ist sehr warm heute. Persönliche Bestzeiten werden bei dem Wetter nur sehr schwer zu erreichen sein, also schaltet lieber einen Gang zurück und hört auf euren Körper.” Die Worte des Sprechers kurz vor dem Start sind nicht gerade motivierend. Noch ein Mann, der übers Wetter redet. „Noch eine Minute bis zum Start“, tönt es aus dem Lautsprecher. Ich schütte mir das restliche Wasser meiner Flasche über den Kopf. „10, 9, 8, 7,…“ Peng. Los geht’s. Schon am ersten Kilometer brennt die Sonne unbarmherzig auf unsere Köpfe herunter. Mir ist heiß. Nach etwa 500 Metern schaue ich auf meine Uhr. Ui. 4:16. Viel zu schnell. Wie war das nochmal mit nicht überziehen am Anfang?! 20 Sekunden über der angepeilten Pace bedeutet höchste Alarmstufe Rot bzw. den sicheren frühen Tod.

Das Feld verteilt sich recht schnell, ein Läufer neben mir hat sich anscheinend bei mir angehängt. Zu nah. Das mag ich gar nicht. Also will ich ihn abschütteln. Sollte aber meinen Rhythmus finden. Ach herrje. Nicht zu schnell weiter. Der Typ wird langsamer. Aha, also eh nur Anfangsspurt. Summmm. Meine Uhr meldet den ersten Kilometer, der tatsächlich (noch) mit der aufgestellten Tafel am Streckenrand übereinstimmt. Ui. Zu schnell. Noch immer.

Herausforderungen auf der Strecke

Danach geht es besser mit der Pace. Doch schon nach diesem ersten Kilometer klebt meine Zunge am Gaumen und ich lechze nach Wasser. Nach zwei Kilometern ist schon etwas die Luft draußen und das Blei in meinen Beinen. „So, eigentlich würdest jetzt Pause machen“, rufe ich mir die Intervalle der vergangenen Wochen in Erinnerung. Die Pause gibt’s aber erst in acht Kilometern. Das sind wie viele Minuten?! Rechnen. Ablenken. Oh no. Lieber nicht rechnen. Wie soll ich das bloß durchhalten?!

„Schei***, mir wird schummrig. Bilde ich mir das ein? Oder macht mein Kreislauf wirklich gleich schlapp?“ Sechs Kilometer sind fast geschafft. Ich leide. Und dennoch kann ich immer wieder andere Läufer überholen. Andere leiden also anscheinend noch mehr. Das motiviert irgendwie und trotzdem schleicht sich immer wieder ein Gedanke ein: „Hör auf! Hör einfach auf!“ Denn ich kann nicht mehr und bin hin- und hergerissen: Einerseits geht’s mir unendlich mies, ich fühle mich wie in einer Gluthölle und andererseits weiß ich genau: Wenn ich jetzt aufhöre, wiederholt sich die 10k Challenge vom Frauenlauf im vergangenen Jahr. Und das wäre für meinen Kopf das Schlimmste, denn dann würde der Zehner tatsächlich wieder zu einer Challenge werden. Nämlich zu der Challenge, überhaupt wieder an den Start zu gehen. Dabei hatte ich mich tatsächlich darauf gefreut. Ja, ich wollte diesen Zehner laufen. Ich will ins Ziel!

Während ich mit meinen Gedanken bei der 10k Challenge bin, sehe ich vorne eine andere Herausforderung auf mich zukommen: „Wo laufen die denn da hin? Was? Das rauf? Was ist denn das für eine Strecke?!!“ Die sogenannte Schneckenbrücke, die auch die Medaille ziert, ist vor mir aufgetaucht und die Läufer vor mir schlängeln sich bereits tapfer hoch. Oh no. Das auch noch. Die Schneckenbrücke macht ihrem Namen alle Ehre. Ich fühle mich wie eine Schnecke. Es sind nicht viele Kreisel, aber die paar Höhenmeter lassen die Beine noch mehr brennen. Das war also die Brücke, von der die Jungs in der U-Bahn nichts Gutes erzählt haben. Lustig ist anders. Doch das Hochkriechen der Schnecke hatte dennoch etwas Gutes: Ich war abgelenkt.

Fighten bis ich am Boden sitze

Die restlichen Kilometer ist es ein einziger Fight. Trotz Hitze, Ich-kann-nimmer-Denken und Schneckenbrücke liege ich noch gut in der Zeit. Sehr gut für eine neue persönliche Bestzeit und gut für die Zeit, die ich mir erlaufen will: 46 irgendwas. Auf den letzten paar hundert Metern wird es richtig eng und zu allem Gedränge auf dem schmalen Gehsteig kommt auch noch lautstark ein Fahrradfahrer von hinten, der dem ersten Läufer des Halbmarathons den Weg frei macht. „Dem tut’s auch weh“, denke ich und schaue nach vorn. Ungefähr 500 Meter noch. Da ist die letzte Kurve. Die Zielgerade scheint plötzlich viel länger zu sein als beim Einlaufen vorhin. Ich will einfach nur zu diesem Bogen da vorne und endlich stehenbleiben können.

46:44. Zeiten sind eigentlich nur Schall und Rauch. Und dennoch möchte ich sie an dieser Stelle erwähnen, weil damit das Kapitel 10k Challenge tatsächlich zu Ende geht. Ich sitze am Boden. Bin erledigt. Wie damals im Prater. Nur dieses Mal zwei Meter hinter dem Zielbogen. Eine Sanitäterin kommt auf mich zu und fragt, ob alles in Ordnung ist. „Ja, ja, ich muss nur kurz sitzen.“ Sie bringt mir zwei Becher Wasser. Und während ich gierig das Wasser in mich reinschütte, realisiere ich, dass ich die Hitzeschlacht tatsächlich gewonnen hatte. Für mich gewonnen.

Das Fighten hat ein Ende: glücklich im Ziel

46:44. Diese Zeit und noch viel schneller hätte ich bereits vor etwas mehr als einem Jahr bei der 10k Challenge des Österreichischen Frauenlaufs erreichen sollen. Hätte sollen. Wie ist mir bis heute ein Rätsel. Denn vergleiche ich mich mit der Natascha von damals, ist es, als ob es sich um zwei völlig unterschiedliche Personen handelt. Allein von der Trainingsleistung war ich damals von solch einer Zeit gefühlt so weit entfernt, wie die Erde vom Mond. So ungefähr. Dazu kam ein riesiger Druck, den Erwartungen gerecht werden zu müssen. Schließlich war ich ja eines der 10k Mädels. Da kann man nicht versagen. Tja. Genauso war es dann im Endeffekt. Ich hatte versagt. War nach sechs Kilometern am Boden gesessen und am Boden zerstört.

Das Leben ist ein Hürdenlauf

Was ist heute anders? Alles. Das Wichtigste: Ich liebe das Laufen mehr als zuvor! Und es gibt keinen Druck. Weder von außen (dieser stresst mich weitaus mehr, als mein eigens auferlegter), noch von mir selbst. Geduld und Gelassenheit spielen eine große Rolle. Was nicht bedeutet, dass ich mich nicht geärgert hätte, wenn es in Berlin keine PB gegeben hätte. Das gehört dazu, denn ja, ich bin eine leistungsorientierte Läuferin. Der Spaß bleibt dennoch nicht auf der Strecke. Das eine schließt das andere nicht aus. Leben und leben lassen. Jedem das Seine.

Berlin, meine Stadt, wie ich sie aufgrund meiner Erfahrungen gerne nenne, schrieb das letzte Kapitel der 10k Challenge. Warum das letzte Kapitel? Ich habe mich mit der Distanz ausgesöhnt. Die Trainings der vergangenen Monate haben mir gezeigt, dass da noch weit mehr Potential vorhanden ist, als ich mir jemals zugetraut hätte. Anhand der Leistungen hätte es bei optimalen Bedingungen und einem starken Tag auch eine 45er-Zeit werden können. Hätte können. Ist doch egal. Im Leben läuft nicht alles nach Plan und schon gar nicht perfekt. Ganz im Gegenteil. Man muss die Hürden nehmen, wie sie kommen. Das bringt einen letztendlich mehr weiter, als einen Weg zu gehen, der schnurstracks zum Ziel führt. Heute weiß ich, dass ich auch bei Hitze und mit Schneckenbrücke schnell sein kann. Das waren meine Hürden an diesem Tag. Diese Erfahrung ist mehr wert, als 45:xx in der Ergebnisliste.

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