Alle neune

Da sind sie also, die letzten Tage von 2019. Ich habe länger nichts von mir lesen lassen und lange überlegt, ob ich über mein Jahr 2019 etwas schreiben soll oder nicht. Im Laufe der Zeit hat sich einiges verändert. Ich gebe nicht mehr viel von mir preis. Einerseits bedingt durch den Job bei laufen.de, andererseits und das ist der Hauptgrund, weil ich es in der Form nicht mehr will. Deshalb auch das Zögern, ob ich diesen Beitrag hier schreiben soll oder nicht. Schlussendlich habe ich mich dafür entschieden. Ausschlaggebend dafür waren unter anderem Reaktionen, die ich von unterschiedlichen Personen bekommen habe. Darunter waren Bekannte und Freunde, aber auch einige, die ich gar nicht persönlich kenne, die nur meine Beiträge verfolgt haben. Dass sie es sehr schade finden, dass ich nichts mehr schreibe.

Ein weiterer Grund war etwas, das mir diesen Sommer passiert ist, mit dem ich nie und nimmer gerechnet hätte und das auch so nicht passiert wäre, wenn es diesen Blog nicht geben würde. Ein Jobangebot, das mich erstmal schlucken ließ. Ich? Wow! Details gibt’s hier nicht. Aufmerksam geworden auf mich waren sie jedenfalls durch diesen Blog hier. Meine Texte gefielen. Das schmeichelte nicht nur, sondern motivierte ungemein.

Voraussetzung: Die Liebe zum Laufen

Tja und dann ist da noch eine dritte Sache, warum ich mein Jahr Revue passieren lassen will. Die meisten kennen nur die Schattenseiten meines Läuferlebens: die Herzgeschichte, das DNF in Amsterdam, die 10k Challenge, mentale Tiefs bis hin zu Krebs in der Familie. Dabei mitgeschwungen ist immer ein Hadern und eine Bewertung: früher gut, heute schlecht. Seit ich mit dem Laufen im Herbst 2014 begonnen habe, stecke ich mir Ziele. Ich war schon damals eine leistungsorientierte Läuferin und wollte, nachdem es tatsächlich möglich schien, meinen ersten Marathon unter vier Stunden laufen. Immer mit Spaß dabei. Ich mag Pläne, ich mag harte Trainings. In meinem nächsten Leben werde ich Leistungssportlerin oder so. Ich habe die Motivation, den Biss und vor allem die Leidenschaft fürs Laufen. 3:58 Stunden sind’s tatsächlich bei der Premiere in Berlin 2015 geworden. Ein gutes Jahr später kam das Knockout (Geschichten dazu gibt’s im Blog genug) und mittendrin dann der Blog. Aber ich habe nicht aufgegeben und nie mit dem Laufen aufgehört. Auf einem einfachen Grund: Ich liebe das Laufen. An dieser Stelle muss ich ein wenig ausholen und die Wüstenultraläufer Rafael Fuchsgruber und Tanja Schönenborn aus ihrem Buch „Wer die Wahl hat, liebt die Qual“ zitieren: „Man sollte das Laufen lieben. Nicht die Ergebnisse, den Erfolg, die Zustimmung – es geht um das Laufen selbst. Ich habe viele Menschen den Satz sagen hören: ‚Ich liebe das Laufen‘, doch sie haben gelogen, vielleicht haben sie sich auch einfach nur vertan. Sie gingen am Wochenende zu Rennen – liefen in der Woche aber kaum. Kein Spaß, keine Zeit, zu anstrengend. Ihr merkt es?“

Und heute? Seit einem Jahr geht es rasant bergauf. Die Schatten der vergangenen Jahre haben sich verzogen und es scheint für mich seit einigen Monaten die Sonne. In diesem Blog ging es viel um Probleme. Es war gut sie zu thematisieren. Ich konnte durch meine Offenheit andere motivieren und sogar Mut in schwierigen Lebenssituationen machen. Jetzt bin ich auf der Sonnenseite des Läuferlebens gelandet. Ich blicke auf ein sensationelles Jahr 2019 zurück. Mit meinem Rückblick will ich zeigen: Dranbleiben lohnt sich. Laufen ist ein ehrlicher Sport, heißt es. Man bekommt das zurück, was man darin investiert. Ich habe dieses Jahr eine Menge investiert, denn geschenkt bekommt man im Leben in der Regel nichts. Weihnachten ausgenommen 😉 Es ist viel Schweiß in den knapp 4500 Kilometern bis zum Jahreshighlight in Valencia geflossen. Die Zähne wurden oft zusammengebissen und es machte spätestens beim zehnten von 15 1000ern auch nicht immer Spaß. Das gehört dazu. Am Ende wird man belohnt. Mit keinem Geld der Welt kann dieses Feeling, das ich dieses Jahr erleben durfte, gekauft werden. Hier ein Rückblick auf mein Laufjahr 2019:

Wo alles begonnen hat: Valencia Marathon 2018

Eigentlich angefangen hat meine Erfolgswelle vor gut eineinhalb Jahren. Neuer Trainer, neues Glück. Ziele ganz ohne Druck. Das Training ohne Druck. Anfangs hatte ich selten Zeitvorgaben bei Tempotrainings. Ich kam wieder rein. Laufen machte nach der 10k Challenge erstmals wieder richtig Spaß. Dass es in die richtige Richtung geht, zeigte dann der Valencia Marathon – das Highlight von 2018. Mit 3:45:09 holte ich mir nach dem Knockout nach zwei Jahren wieder eine neue Marathon-PB und gleichzeitig auch Selbstvertrauen. Ich kann’s ja doch noch. Endlich war ich wieder dort, wo ich 2016 aufgehört hatte. Und motiviert bis in die Zehenspitzen.

Auf 10er-Bestzeit-Jagd: 10 Kilometer in Laxenburg

Der erste Wettkampf des Jahres war dann am 17. Februar 2019: 10 Kilometer beim Schlosspark Lauf in Laxenburg. Die Aufregung war groß, der Bammel vor der Hader-Distanz noch größer. Den letzten 10er davor war ich bei der 10k Challenge gelaufen und der war ein Desaster. Aber was soll’s. Ich wollte ja mitlaufen. Also Augen zu und durch. Es lief wider Erwarten sehr gut. Das Tempo war hart, aber bis auf die letzten Kilometer nicht so schlimm wie befürchtet. Ich wollte an diesem Tag eine 47:xx stehen haben und mit 47:59 ist sich’s noch haarscharf ausgegangen. Neue Bestzeit bedeutete noch mehr Motivation und vor allem eines: Der Fluch des 10ers war beseitigt. Es war ja echt ganz cool mal wieder richtig Gas zu geben!

Berliner Halbmarathon: Schaffe ich erstmals die 1:45?

7. April 2019. Während in Wien Marathon gelaufen wurde, fand in Berlin der größte Halbmarathon Deutschlands statt. Ich war nicht nur zum Arbeiten dabei, sondern auch zum Laufen mittendrin. Es war der Tag, an dem ich endlich erstmals offiziell auf einer flachen, vermessenen Strecke die 1:45 auf den 21,1 Kilometern knacken wollte. Alles oder nichts. Ich war nervös wie schon lange nicht, denn ich wusste, dass 4:59 Minuten am Kilometer mich echt fordern würden. Dazu war es erstmals sehr warm – zu warm für meinen Geschmack. Hürde: die Temperatur. Was soll’s. Und dann das: Nach 1:43:26 war ich im Ziel. Fünf Sekunden am Kilometer schneller als geplant. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich glückselig zurück ins Hotel getaumelt bin. Wow! Was ging denn da ab? Sub 1:45 – yeah!

Traumlauf über 42,2 Kilometer: Hamburg Marathon

Drei Wochen später dann noch mehr Aufregung, noch mehr Nervosität: Hamburg Marathon. Ich mag die Norddeutschen und liebe Hamburg. Nicht nur, aber auch, weil mir der Marathon in der Hansestadt schon 2016 Glück gebracht hatte. Am 28. April 2019 sollte es wie vor drei Jahren hoffentlich auch gut laufen. Ich wäre keine ambitionierte Läuferin, wenn ich nicht sagen würde, dass ich mit einer neuen persönlichen Bestzeit nach Hause fahren wollte. Also sollten die 3:45 aus Valencia unterboten werden. Im besten Fall spekulierte ich auf sub 3:40. Am Renntag war bestes Hamburger Schietwetter: Starker Regen und Temperaturen, bei denen sich die Haare aufstellten. Bis Kilometer 25 regnete es sehr heftig, dazu kalter Wind. Ich war so durchgefroren, dass meine steifen Finger das Gel nicht aufreißen konnten. Den Zähnen sei Dank, gab es trotzdem Zucker. Doch so grauslich das Wetter war, so großartig war mein Lauf. Ich flog förmlich, wurde immer schneller. Noch heute traue ich meinen Augen nicht, wenn ich mir die Splits von damals anschaue. Ich hatte einen Traumtag mit einem Traumlauf vom ersten bis zum letzten Kilometer. Nach 3:35:33 überquerte ich die Ziellinie. Völlig geflasht. Fast zehn Minuten schneller als in Valencia. Und wie ich im Nachhinein gesehen hatte, war ich unbeabsichtigt fast an die Boston-Quali-Zeit herangekommen. Diese liegt in meiner Altersklasse bei 3:35:00 und musste aufgrund der Herabsetzung von fünf Minuten auch nicht mehr um diese unterboten werden. Ich konnte es kaum glauben. Das sollte beim nächsten ja vielleicht machbar sein?

Auch wenn’s schwer ist: In der Kürze liegt die Würze

Nach Hamburg wurde der Fokus weg vom Marathon, hin zu den Unterdistanzen gelegt. Wer diesen Blog hier verfolgt, weiß: Oje! Schneller werden bis zum Herbstmarathon war das Ziel. Oje oje. So quälte ich mich den ganzen Sommer über mit kurzen Intervallen: 200er, 300er, 400er, sehr schnelle 1000er. Die Markierungen in der Prater Hauptallee wurden meine besten Freunde bzw. Feinde. Unpackbar wie grauslich 200er sein können. In den paar Sekunden, die sich wie Minuten anfühlen, schießt es überall ein und auf den letzten Metern ist’s immer wie wenn ich kollabier. Laktattoleranz? Fehlanzeige!

Die Wochen vergingen und es wurde besser. Ich wurde besser. Heißt aber auch, dass ich schneller laufen sollte. Es tat sich was, das merkte ich. Das Blei im ganzen Körper auf den letzten Metern war nicht mehr ganz so bleiern. Es machte Spaß. Sich zu spüren. Richtig Gas zu geben. An die (Kotz)Grenze zu gehen. Und am Ende richtig zufrieden zu sein. Ich hatte mich verändert und wollte diese Veränderung schwarz auf weiß haben. Der nächste Wettkampf stand am Plan: 3,8 Kilometer beim Sommerlaufcup am 11. August.

Voll am Anschlag: 3,8 Kilometer beim Sommerlaufcup

Ich war noch nie kürzer als vier Kilometer bei einem Rennen gelaufen. Vier Kilometer waren es einmal und nie wieder beim Sie & Er Lauf im Prater vor ein paar Jahren. Damals hatte ich am Anfang so überzogen, dass mein Körper nach noch nicht einmal einem Kilometer sagte: aus und vorbei – tot! Ich habe mich damals irgendwie ins Ziel gerettet, aber es waren die schlimmsten vier Kilometer ever. Jetzt also 3,8 Vollgas. Den ersten Kilometer merkte ich kaum. Doch als die Uhr nach 4:10 Minuten piepste, wusste ich, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhalten wird. So war es dann auch. Nur wenige hundert Meter später wurde es anders. Ganz anders. Aber was soll’s. Zähne zusammenbeißen. 16:40 Minuten (Bruttozeit) hat das Durchhalten und Kämpfen gedauert. Am Ende war ich stolz, meine größte Hürde – derart kurze Rennen – in Angriff genommen zu haben. Das Training wirkte. Ich veränderte mich. Somit stand das nächste Ziel fest: Ich will einen g’scheiten 10er laufen.

In der Hitze des Gefechts: 10k beim Mercedes-Benz-Halbmarathon in Berlin

Am 1. September war ich wieder in den Straßen von Berlin am Start. Zehn Kilometer beim Mercedes-Benz-Halbmarathon. Ziel: neue Bestzeit. Hürde: die Hitze. Es war an dem Tag richtig heiß. Schon in der Früh hatte es 25 Grad. Super. Ich vertrage Hitze nämlich gar nicht. Dementsprechend hart wurde das Rennen. Es war heiß und wurde immer heißer. Bestzeiten sollen wir uns bei dem Wetter abschreiben, hatte der Platzsprecher vor Beginn noch gesagt. Doch ich wollte nicht ohne Bestzeit heimfliegen. Also wurde es regelrecht eine Hitzeschlacht. Schon nach zwei Kilometer war die Luft draußen. Aber ich zog es durch: Nach 46:44 Minuten ließ ich mich völlig erledigt, aber auch voller Endorphine hinter der Ziellinie zu Boden sinken. Musste erstmal verschnaufen. Ich grinste innerlich, denn auch diese Hürde hatte ich genommen: Hitze. Ich kann auch bei Hitze schnell laufen. Wahrscheinlich wäre ein bisschen mehr drin gewesen, wenn die Bedingungen andere gewesen wären, aber das Wetter ist nun mal kein Wunschkonzert. Ich war zufrieden. Aber nicht ganz. Da geht mehr. Mein Trainer und ich waren uns einig. Obwohl der Marathon in Valencia Anfang Dezember immer näher rückte, wurde nochmals alles auf einen 10er ausgelegt. Einser Priorität im Plan. Also wieder einmal Vollgas…

Fortsetzung folgt…

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