Das Rennen meines Lebens

Eingeschlafen. Oder gibt es ihn (den Blog) noch? Rennt sie überhaupt noch? Knapp zwei Monate habe ich hier an dieser Stelle nichts von mir hören, besser gesagt, lesen lassen. Es gab zwar hin und wieder ein Update auf Facebook, aber einen Blogbeitrag darüber, was ich denn so treibe bzw. worauf ich mich eigentlich vorbereite, wie es gerade läuft bei mir, gab es schon lange nicht mehr. Warum eigentlich?

Es heißt so oft, Menschen zeigen nur die schönen Dinge ihres Lebens. Die perfekte (Schein)Welt, in der alles durch die rosarote Brille gesehen wird. Läuft es einmal nicht nach Plan, nicht rund und legt einem das Leben kleine oder auch sehr große Steine in den Weg, wird es still oder es wird dennoch versucht, diese ach so heile (Schein)Welt aufrecht zu erhalten.

Zusammenreißen und zusammenbrechen

Die vergangenen zwei Jahre waren ziemlich hart für mich. Zuerst ging es um meine Gesundheit, dann um die anderer. Obwohl das Thema Krebs in meinem Leben seit ich denken kann präsent ist, war es im vergangenen Jahr noch stärker von Bedeutung. Als „die Zecke, die an der Lebensfreude saugt“ hatte ich die Krankheit, die einem so plötzlich den Boden unter den Füßen wegzieht, bezeichnet. Genau vor einem Jahr hatte ich wieder diese Ohnmacht, nichts tun zu können. Nichts. Absolut gar nichts. Außer zu hoffen.

Fokus on, Schietwetter ausblenden

Ich habe damals lange überlegt, ob ich darüber schreiben soll. Im Nachhinein gesehen war es die beste Entscheidung. Ich brach ein Tabu, machte es öffentlich und konnte mir (fast) alles von der Seele schreiben. Meine Geschichte machte anderen Mut. Ein besseres Feedback hätte es nicht geben können. Es war ein sehr schwieriges Jahr für mich. Die 10k Challenge, bei der ich letztendlich völlig versagt hatte. Obwohl, hatte ich versagt? Damals kam viel zusammen. Ich brauchte die Kraft für andere, musste Stärke abseits vom Laufen zeigen. Das klappte auch einigermaßen. Zusammenreißen, um dann irgendwann abseits der anderen zusammenzubrechen. Am Tag der Challenge konnte ich nach sechs Kilometern nicht mehr und saß völlig fertig am Streckenrand. Es ging mir an diesem Tag scheiße. Es ging mir seit Wochen scheiße. Irgendwie schleppte ich mich nach 55 Minuten ins Ziel. Spaß? Der war mir in der Challenge abhandengekommen.

Das Jahr 2018 hat mich verändert. So schlimm diese Zecke auch war, die sich wiederum in meiner Familie eingenistet hatte, so sehr gab sie mir auch die Kraft, mein Leben zu verändern. Einen sicheren Job aufzugeben, mich anderweitig umzuschauen und nicht locker zu lassen, irgendwann das machen zu können, was mir Kraft gibt. Das Leben ist zu kurz, um in Situationen auszuharren. Zeit für Veränderung. Es hat sich gelohnt.

Schritt für Schritt

Damit wäre ich nun wieder beim Eingangsthema. Menschen zeigen nur die schönen Dinge aus ihrem Leben. Meine vergangenen zwei Jahre waren ein mehr oder weniger steiniger Weg, an dem ich euch Leser mitgenommen habe. Meine Herzgeschichte. Mein erstes und einziges DNF beim Amsterdam Marathon. Die Krebsgeschichte.

Mit meiner Entscheidung mich beruflich zu verändern, nahm langsam Schritt für Schritt alles seinen Lauf. Ich wagte mich in eine ungewisse Zukunft. Doch wie heißt es: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ein Jahr später kann ich sagen: Ich habe gewonnen. In jeder Hinsicht.

Läuft einfach

Beim Laufen läuft es seit Monaten richtig, richtig gut. Und damit bin ich nun wirklich beim Eingangsthema. Ich hätte seit Anfang des Jahres wöchentlich einen Blogbeitrag schreiben können, wie ich ein Training nach dem anderen runterspule, eines besser als das andere. Wie ich mich körperlich und mental verändert hatte. Was mir dabei durch den Kopf ging. Wie sehr ich innerlich jubelte. Stellte sich mir die Frage: Will ich das? Nein.

Ein Wahnsinnslauf

Am vergangenen Sonntag bin ich in Hamburg meinen siebenten Marathon gelaufen. Die Vorbereitung war extrem gut, mit dem Berliner Halbmarathon drei Wochen zuvor hatte ich die beste Saison ever. Dementsprechend hoffte ich auf eine neue Bestzeit, womöglich würde sich sogar eine Zeit unter 3:40 Stunden ausgehen. Alles kann, nichts muss. Etwas, dass ich im vergangenen Jahr bei der 10k Challenge oder besser gesagt danach gelernt habe: Mir keinen Druck mehr zu machen. Ich mir nicht und vor allem auch nicht von außen auferlegen lassen. Mein Trainer kann das perfekt: Mich fordern ohne zu überfordern. Großes Dankeschön an dieser Stelle! Es läuft und macht seit Monaten irre Spaß. Dabei geht es auch, aber nicht nur um die Pace. Das Feeling ist derzeit unbeschreiblich. Einfach weil ich tue, was ich will: Marathon laufen.

Die Zielgerade kurz vorm roten Teppich

In Hamburg hatte ich trotz Schietwetter einen Wahnsinnslauf. Es war das perfekte Rennen. Ich will hier aber gar nicht viele Worte darüber verlieren, die Bilder sprechen Bände. Zumindest in meinen Erinnerungen, die mir auch in den nächsten Wochen immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern werden. Ich hatte Spaß vom ersten bis zum letzten Kilometer und Kraft. Unendlich viel Kraft. Schon mitten im Rennen und vor allem dann am roten Teppich auf den letzten Metern ins Ziel hatte ich mit den Tränen zu kämpfen. Immer wieder übermannten mich meine Gefühle.

Alles ist gut

Bei Kilometer 37 standen ein letztes Mal „meine Fans“ – mein Freund samt Freunden. Sie schrien sich die Kehle aus dem Leib, wie sie mir im Nachhinein gesagt haben. Ich hörte sie nicht. War im Tunnel. Im Glücksrausch und wurde immer schneller, konnte nochmal mehr zulegen. Ich spürte nur unendliches Glück und so kamen die Freudentränen. Weil gerade alles passte. Beim Laufen, aber vor allem aus einem Grund: Fünf Tage zuvor standen die Kontrolluntersuchungen an. Der Check ein Jahr nach der Diagnose. Ich war beruflich in London, in der Weltstadt traf ich Paula Radcliffe zum Interview. In meinen Gedanken war ich jedoch in einem kleinen Kaff. Bis schließlich die erlösende Nachricht kam: Alles gut. Es ist alles gut.

Gefühlsachterbahn wenige Sekunden vorm Ziel

Nach 3:35:33 Stunden war ich am Sonntag im Ziel. Ich konnte es selbst nicht glauben, was gerade abgegangen war. Kann es eigentlich immer noch nicht glauben. Vom Feeling ist dieser Lauf mit nichts zu toppen. Vielleicht noch am ehesten mit meinem ersten Marathon in Berlin 2015. Ich hatte diese 42,195 Kilometer durch Hamburg derart genossen, dass es mir fast schon unheimlich ist. Es war das Rennen meines Lebens sozusagen. Die Betonung liegt auf MEIN Leben. Ich habe es in die Hand genommen und mich von meinen Energieräubern befreit. Mit dem Resultat, dass ich derzeit vor Kraft strotze, wie nie zuvor.

Mit meinen Blogbeiträgen konnte ich immer wieder Leute zum Laufen motivieren. Zumindest habe ich dies immer wieder rückgemeldet bekommen. Doch das vergangene Jahr hat mich verändert. Fast zwei Monate habe ich hier nichts von mir lesen lassen, obwohl es viel zu erzählen gegeben hätte. Stattdessen stellte ich mir immer öfter die Frage: Wie soll es hier an dieser Stelle weitergehen? Anders als bisher. Das steht fest. Soll es überhaupt weitergehen? Das lass ich mal offen. Veränderung ist das große Schlagwort. Also schau ma mal…

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